Der letzte Werwolf
Darbietung, keine Pornographie, nur völlige Hingabe an die Religion des Anderen, jene erotische Gleichsetzung, die den Unterschied zwischen dem Heiligen und dem Profanen ins Lächerliche zieht und mit einem Schlag die moralische Welt des Körpers in Anarchie versetzt. All die Liebe ihrer Eltern fand sich dort in der heimlichen Vertraulichkeit ihrer gespreizten Schenkel. Sie wusste um das Maß ihrer Reichtümer. Der Wolf hatte sie erst genommen, dann größer werden lassen, hatte ihr zu den Geschenken des Menschen noch die Übelkeit erregende Befreiung von den Auflagen und Grenzen der moralischen Welt gegeben. Man akzeptierte den Wolf und wuchs mit ihm, oder man lehnte ihn ab und starb. Als kleines Mädchen hatte sie weiches Spielzeug und ein rosa Kinderzimmer gehabt, die Ballettträume und die Vernarrtheit in Pferde. All dies war aufgeflammt, größer geworden, Bücher, ein kluger Mund, all das fand ein Gleichgewicht zwischen Schöngeist und Schlampe, dazu ein wenig materielle Gier, die Sorge, halbwegs hübsch zu sein, so dass die Phase der Politisierung eher mürrisch vollzogene Pflicht war, dann Arbeit, Geschäft und die sich täglich ändernden Überlebensstrategien, die die spätnachts als Studienanfängerin erworbenen ethischen Grundsätze verblassen ließen. All das fand sich immer noch unter dem dunklen Schatten des Ungeheuers. Die Herausforderung bestand darin, die verschlagene Sturheit aufzubringen, beides zu behalten, die Person von damals und die von heute.
Der Sex (der Ausdruck ›sich lieben‹ bot sich durchaus an) ließ zwischen uns eine Art Hellsicht aufflackern: Ich sah mit ihren achtjährigen Augen, wie sie auf einer Hintertreppe saß, die vor Blätterschatten flimmerte, und über eine riesige Ungerechtigkeit schmollte. Sie stand hinter meinen Augen in der sonnigen Bibliothek –
WERWOLF
– von Herne House. Ein düsterer Himmel über einem dunklen Acker mit einer einsamen holländischen Scheune. Der Verkaufsraum eines Autohändlers, in dem sich das Licht in zu viel Glas spiegelt. Harley, der den Kamin anzündet und sagt: »Also, das ist doch
Blöd
sinn.« Ihre Füße, die aus glitzerndem Badeschaum ragen, Zehen wie eine kleine Familie aus Rubinen. Wir durchlebten eine Handvoll von Augenblicken des Anderen, zumindest glaubten wir das. Als ich kam, packte ich das weiche warme Haar über ihrem Nacken und sah sie an. Sie erwiderte den Blick. Ihre Augen verrieten kalte, ihre Vagina heiße Allwissenheit. Ihr offener Mund verzog sich zu einer kaum erkennbaren Form der Zustimmung. Dieser Ausdruck und der Schönheitsfleck sorgten für jene tantrische Entschlossenheit, an die ich mich klammerte. Ein erster Höhepunkt völliger Auflösung, wie in Gott oder das Nichts hinein – dann die Rückkehr, die erneute bescheidene Rückkehr von Fingerabdrücken, Kopfhaut, Knien, Zunge, Herz, Hirn. Ich hatte schon ganz vergessen, dass Sex so etwas auslösen konnte, die momentane Rückkehr des göttlichen Splitters in das göttliche Ganze, nur um ihn dann wieder geschliffen, verschönt herauszuholen.
So waren fünf fleischliche Stunden vergangen.
Nun waren sie vorbei. Wir lagen auf dem Bett wie Seesterne. Mit einem anderen Menschen nach wunderbar transzendentem Sex auf einem Hotelbett zu liegen gehört zu den platonischen Formen der Liebe. Draußen lag das von kalter Sonne beschienene Manhattan unter einem blauen Märzhimmel. Irgendwann in all den Stunden hatte es geregnet. Wir hatten es mitbekommen, so wie ein harmloses Tier, das sich um seine Angelegenheiten kümmert, ein anderes harmloses Tier bemerkt. Nun strahlte die Luft sauberen Optimismus aus. Dem man widerstehen sollte, wie der Realist in mir mahnte, denn schon tastete sich die Zukunft heran wie ein zeitweilig erblindeter Riese.
»Irisch Talulla«, erläuterte sie. »Nicht Choctaw. Die Familie meiner Mutter ist um 1880 hergekommen. Tut aber nichts zur Sache. So oder so ist der Name einfach unaussprechlich.«
Demetriou nach ihrem griechischen Vater Nikolai, der 1967 als Physik-Student in die USA kam, sich von der Hippiekultur ablenken ließ, nur mit Mühe seinen M.A. an der Columbia University schaffte und fast an einer rätselhaften Mageninfektion starb, die er sich 1973 bei einer Reise nach Mexiko geholt hatte. Er überlebte, und dieses Trauma löste in ihm wohl den Wunsch nach Liebe aus, denn keine sechs Monate, nachdem er das Krankenhaus verlassen hatte, verliebte er sich in Colleen Gilaley, Erbin des nicht unbeträchtlichen Vermögens der vier
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