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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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sie, jeder vor sich hingrübelnd, die Kirche. Unerwartet blieb Dorian stehen. Auf den Stufen vor dem Hauptportal hockte eine kleine Frau. Aus ihrem geblümten Kopftuch quoll graues Haargestrüpp. Eine braune Hand, die davon zeugte, dass sie ein Leben lang schwere Arbeiten verrichtet hatte, ruhte in bittender Geste auf ihren Knien.
    „Das arme Weib, es dauert mich. Und jede Wohltat, die wir tun, gereicht uns einst zum Guten“, sagte Dorian. „Doch mir ist schlechterdings kein Kreuzer selbst zu eigen.“
    Valentina, die ganz in Gedanken weitergegangen war, blieb nun ebenso stehen. Nach kurzem Zögern warf sie ihm ihren Geldbeutel zu. Überrascht von der Wurfattacke, konnte ihn Dorian eben noch auffangen.
    „Mademoisellchen!“ Obwohl ein leiser Tadel in seiner Stimme lag, rang er sich ein dankbares Lächeln ab. Allerdings senkten sich seine Mundwinkel, als er in der Börse außer ein paar Cent nur Papiergeld fand. „So nehmet dies, wenngleich die Gabe ist gering.“ Damit leerte er das Portemonnaie in den Schoß der Bettlerin. Drei Scheine flatterten aus dem Geldfach.
    Valentina machte einen entsetzten Schritt vorwärts.
    Die alte Frau hob den Blick. „Gott segne dich, mein Junge“, sagte sie mit brüchiger Stimme, während ihre knochigen Finger hastig das Geld zusammenrafften.
    Valentina warf ihrem Bruder einen verzweifelten Blick zu. In den Rockfalten der Alten verschwand soeben ihr gesamtes Taschengeld. Phil zuckte hilflos mit den Schultern.
    Als Dorian sich schon zum Gehen wenden wollte, streckte die Bettlerin den Arm aus. „Gib mir deine Hand, junger Mann, ich will sehen, was ich darin lese.“
    Nach einem Moment der Unentschlossenheit kam Dorian ihrem Wunsch nach. Der knochige Zeigefinger der Alten fuhr langsam über die Linien seines rechten Handtellers. Dann stutzte sie und ihre Augen veränderten sich zu schwarzen Spiegeln des Entsetzens. Abrupt ließ sie seine Hand fallen und bekreuzigte sich dreimal.
    Dorian richtete sich auf, seine Pupillen weiteten sich. „Was haben Sie gesehen, liebe Frau?“
    Mit einer abwehrenden Handbewegung rappelte sich die Handleserin hoch.
    Valentina lief es eiskalt den Rücken hinunter. „Warten Sie! Was ist?“
    Aber auch sie bekam keine Antwort. Düster vor sich hinbrabbelnd, machte sich die Alte daran, sich zu entfernen, doch Dorian hielt sie am Ärmel zurück. „Gute Frau, Ihr Entsetzen ängstigt mich. Ich bitte Sie in Gottes Namen, so sagen Sie! Was steht in meiner Hand geschrieben?“
    Am ganzen Körper schlotternd wandte sie ihm das runzlige Gesicht zu. „Ich sehe einen Wolf! – Was bist du für ein Wesen?“ Ihre verwitterte Stimme vibrierte. „Hüte dich!“
    „Wovor? – Sagen Sie! Wovor soll ich mich hüten?“
    „Hüte dich vor der Johannisnacht!“
    „Johanni“, murmelte Phil.
    Die Alte warf den kleinen Kopf herum, ihre schwarzen Augen funkelten die Geschwister eindringlich an. „Achtet gut auf euren Freund! Die Sonnenwende scheidet Tag und Nacht, sie trennt das Licht vom Dunkel, das Gute von dem Bösen. Sein menschliches Blut will sich vom Blut des Wolfes scheiden. Es ist die Nacht der Sonnenwende, die die Entscheidung bringt.“
    Dorian ließ von ihr ab. „Ist dieser Kampf denn zu gewinnen?“ Mit gesenktem Kopf sackte er auf die Stufen nieder.
    Die Alte nestelte an ihrem Kopftuch, man sah, wie Mitleid und Furcht in ihr rangen. „Zeig mir noch deine Herzenshand!“, sagte sie endlich.
    Dorian blickte sie verständnislos an.
    „Die Linke, mein Junge, die Linke, die dem Herzen näher ist.“
    Dorian wischte sich den Schweiß von der Handfläche und folgte ihrem Wunsch.
    Wieder durchmaß der Zeigefinger der Alten das feine Linienmuster seiner schmalen Hand. „Dein Schicksal ist noch nicht entschieden, doch die Chancen sind gut, ich sehe Helfer …“ Sie verstummte und tastete erneut, als wolle sie sich versichern. Dann nickte sie. „Oh ja, es steh'n dir Helfer bei, aus dieser und aus einer anderen Welt. Sei nicht verzweifelt, du bist nicht allein!“ Sie blickte hoch und traf, gedankenvoll mit dem Kopf wackelnd, Valentinas Blick. Valentina zuckte zusammen. Hatte sie etwas gesehen, das sie betraf? Sie setzte eben zu einer Frage an, als die Alte sich abwandte, die Hände in die Rocktaschen steckte und sich eilig davonmachte. Valentina sah ihr erschüttert nach, während Dorian in seine offene Hand starrte, als könne auch er sein Schicksal darin ergründen.
    „Die Sonnwendnacht“, sagte Phil tonlos. „Das ist verdammt bald!“
    Dorian ließ

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