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Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Titel: Der letzte Weynfeldt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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gekokst. Dann setzte sie ein Semester aus, sie war ja jung und hatte viel Zeit. Aus dem einen Semester wurden zwei. Und als sie sich im dritten zwang, wieder an die Uni zu gehen, hatte sie sich einen Lebensstil angewöhnt, den sie sich als Studentin nicht leisten konnte.
    Vielleicht würde sie eines Tages sein wie diese alte Frau: den Kopf voller unerfüllter Träume und ein Foto von Robbie Williams im Portemonnaie.
    Sie steckte die vierzig Franken zurück und legte den Geldbeutel wieder auf das Tablett der alten Frau.
    So weit, dass sie von denen nahm, die selber nichts hatten, war sie noch nicht. Man nahm von denen, denen es danach nicht fehlte.
    Von dem alten Mann gestern, zum Beispiel. Fünfzigtausend hatte er ihr angeboten, »wenn Sie dem guten Adrian einen kleinen Schubs geben«.
    Er habe ein wertvolles Bild, das ihm gehöre, kopieren lassen, und wolle jetzt, dass Weynfeldt die Kopie versteigere statt des Originals. Weil er sich von diesem nicht trennen könne. Weynfeldt habe natürlich abgelehnt, dazu sei er viel zu spießig. Und sie solle ihm jetzt »einen kleinen Schubs geben«.
    Wie er sich das vorstelle, hatte sie ihn gefragt.
    Sie wisse doch wohl, wie man einen Mann, der auf sie fliege, dazu bringe, etwas zu tun, was gegen seine Prinzipien sei, hatte er geantwortet. Er brauche sie nur anzuschauen.
    Wie er darauf komme, dass Weynfeldt auf sie fliege, hatte sie wissen wollen.
    »Er tut es«, hatte er darauf geantwortet, »verlassen Sie sich darauf, ich kenne ihn.«
    Die alte Frau kam zurück.
    »Danke fürs Aufpassen«, sagte sie lächelnd.
    »Don’t think twice, it’s all right«, antwortete Lorena und ging.
    Zu Hause rief sie Adrian Weynfeldt im Büro an. Er sei außer Haus, teilte ihr seine Assistentin mit.
    Dann solle sie ihr doch bitte seine Handynummer geben, bat Lorena.
    Sie erhielt die Auskunft, dass Doktor Weynfeldt kein Handy besitze.
    Lorena ließ ihm ausrichten, er solle sich gefälligst eines anschaffen. Sie spendiere ihm den Franken, den so was koste.

19
     
    Adrian hatte eine schlechte Nacht hinter sich. Er hatte den Rest des Weines in der Flasche ausgetrunken und sich danach in seinem Arbeitszimmer am Cognac vergriffen, den die sonst so gewissenhafte Frau Hauser samt dem von Baier benutzten Schwenker hatte stehenlassen.
    Er hatte versucht, sich auf die beiden Bilder zu konzentrieren und auf die Frage, wie er sich in der Angelegenheit verhalten sollte. Aber ein anderes Bild, das von Lorena, schob sich immer wieder dazwischen.
    Sie hatte müde ausgesehen. Müde und älter als in seiner Erinnerung. Wie alt mochte sie sein? Fünfunddreißig? Oder näher bei vierzig?
    Was für ein unbeschreibliches Pech. Wäre sie nur zehn Minuten später gekommen, Baier wäre weg gewesen. Er hätte sie nach Hause gefahren, und wie immer es weitergegangen wäre, er wüsste jetzt, wo sie wohnte.
    Auch wenn sie früher aufgetaucht wäre, hätten sich die Dinge anders entwickelt. Sie hätte geklingelt, er wäre hinuntergefahren und hätte sie im besten Fall überredet, einen Moment heraufzukommen. Im schlechtesten hätte er immer noch die Chance gehabt, mit ihr ein paar private Worte zu wechseln. Ihre Adresse zu erfahren, oder ihre Telefonnummer.
    Er hatte am Cognac genuckelt, immer sorgfältig darauf bedacht, nicht an der Stelle zu trinken, die schon Baiers Lippen berührt hatten, und seine Wut auf den Alten war mit jedem Schluck größer geworden. Zuerst versuchte der ihn übers Ohr zu hauen, dann seine Komplizenschaft zu kaufen, und zum Schluss fuhr er vor seiner Nase mit der ersten Frau seit Jahren davon, die Weynfeldt interessierte.
    Er malte sich aus, was er mit Baier alles anstellen würde. Das Repertoire reichte von der Anzeige wegen Betrugs bis zur Gewaltanwendung.
    Er führte im Geiste lange, vernichtende Gespräche mit ihm, schenkte sich mehrmals nach und merkte erst, wie spät es war, als er mit schwerer Schlagseite sein Schlafzimmer betrat: zwei Uhr.
    Er kämpfte mit seiner Munddusche, den Knöpfen seines Pyjamas und dem Entschluss, ungeachtet der Zeit Baier anzurufen. Um ihm die Meinung zu sagen und um – so lächerlich der Gedanke auch war – sicherzugehen, dass der Alte zu Hause war.
    Als Adrian sich endlich ins schwankende Bett legte, war es zehn vor drei. Als er aufschrak mit dem Gefühl, verschlafen zu haben, war es zehn nach.
    Er schlief in kurzen, unruhigen Etappen, erschien erst gegen neun mit geröteten Augen und drei Rasierschnitten zum Frühstück und ärgerte sich über das doppelte

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