Der letzte Weynfeldt (German Edition)
eines Films.« Und dann beiläufig zu Weynfeldt: »Ich hab dir das Drehbuch mitgebracht.«
Claudio Hausmann griff neben sich, brachte ein kleines schwarzes Ledermäppchen zum Vorschein und entnahm diesem ein spiralgebundenes Heft mit durchsichtigem Deckblatt und dem Titel: »(Arbeitstitel) Hemingways Koffer – ein Spielfilm von Claudio Hausmann«.
Adrian nahm es entgegen wie eine zerbrechliche Kostbarkeit, erhob sich formell und drückte dem nun doch stolz errötenden Claudio herzlich die Hand. »Gratuliere!«
Er setzte sich wieder. Weynfeldts gepflegte Hände blätterten vorsichtig im Dokument. Er besaß keine Erfahrung mit Drehbüchern und war überrascht, dass ein Spielfilm von über hundert Minuten nicht mehr Seiten in Anspruch nahm.
Claudio schaute gespannt in Adrians Gesicht. Aber Kando musste ihm seine Frage von der Stirn abgelesen haben. »Claudio glaubt nicht an die Durchdialogisierung«, erläuterte sie. »Er erarbeitet die Dialoge auf dem Set mit den Schauspielern. Das wird so viel authentischer.«
Und tatsächlich standen unter dem Titel jeder Szene eine kurze Beschreibung der Handlung, die Namen der vorkommenden Personen und ein knapper Abriss des Dialoginhalts. Zum Beispiel: »Dialog Ernest/Headley/Gepäckbeamter Bahnhof Montreux – Disput über das Ausfüllen des Formulars für vermisste Gepäckstücke. Ernest regt sich schrecklich auf, Headley versucht zu schlichten, Beamter stellt sich stur. Keine Lösung des Konflikts.«
»Ich habe immer so gearbeitet«, bestätigte jetzt Claudio. »Ich stecke die Schauspieler ungern in dieses Dialogkorsett. Es macht sie befangen, das kommt immer rüber von der Leinwand.«
Adrian gab ihm recht. Er hatte zwar bisher immer geglaubt, gerade die Fähigkeit, das Vorgegebene als spontan erscheinen zu lassen, sei ein wichtiger Bestandteil der Schauspielkunst. Aber heute hätte Claudio sagen können, was er wollte, er hätte ihm immer recht gegeben. An anderen Tagen hätte er das zwar auch getan, aber vielleicht nicht ganz so freudig.
»Ich sehe einen großen Film«, erläuterte Claudio. »Internationale Koproduktion. Unter Schweizer Federführung, aber international. Mit den sexy Schauplätzen Genfersee und Paris müssten schweizerisch-französische Mittel loszumachen sein. Und mit dem amerikanischen Nationalschriftsteller auch Hollydollars. Wie fändest du Brad Pitt als jungen Hemingway? Ich meine jetzt nicht unbedingt als Namen, aber als Typ? Kando neigt mehr zu Matt Damon.«
Adrian Weynfeldt fand auf Anhieb beide geeignet, wollte aber das Script gelesen haben, um sich eine endgültige Meinung zu bilden.
Sie redeten noch ein wenig über Besetzung und Setting, die kommerzielle Notwendigkeit, die Länge auf unter zweihundert Minuten zu drücken – Claudio kam in einem ersten Timing auf gegen zweihundertzwanzig –, und die Idee eines mehrsprachigen Films – alle sprechen ihre Sprache und sind jeweils in der anderen untertitelt. Plötzlich sagte Kando: »Du kennst doch Talberger?«
»Gabriel Talberger?« Weynfeldt kannte ihn flüchtig. Sie hatten einmal das gleiche Internat in der Ostschweiz besucht. Adrian nur für ein Jahr, dann hatte ihn seine Mutter wegen irgendeiner ihrer Meinung nach übertriebenen Disziplinarstrafe wieder entfernt, wie von so manchen anderen Privatinstituten auch. Talberger war einer der wichtigeren Filmproduzenten des Landes geworden. Aber bis jetzt hatte Weynfeldt diese Bekanntschaft so sehr im Vagen halten können, dass er sich bei ihm nie für Hausmann hatte verwenden müssen. Doch heute sagte er im Übermut: »Wir sind zusammen ins Rittergut gegangen, aber er war eine Klasse über mir.«
»Claudio hat ihm das Script geschickt. Es ist erfahrungsgemäß besser, wenn da ein persönlich Bekannter noch etwas nachhilft. Würdest du das für ihn tun?«
Weynfeldt sah Claudio an. Der saß da, als läge es in dieser Sekunde in Adrians Macht, über sein Gedeih oder Verderben zu entscheiden. Er wollte Adrian die Entscheidung leichtmachen und erklärte: »Einfach sagen, da hat einer, den ich kenne, ein Drehbuch geschrieben. Das solltest du mal lesen.«
Weynfeldt versicherte, dass er das sehr gerne tun würde. Und war in diesem Moment auch fest davon überzeugt.
Wenn ihm jemand an diesem Donnerstagstisch mehr als die übliche Beachtung geschenkt hätte, wäre ihm wohl aufgefallen, dass Adrian Weynfeldt sich nicht besonders anstrengte, am Gespräch teilzunehmen. Er übersah auch einmal, dass die Flasche am anderen Ende des Tisches leer war,
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