Der letzte Weynfeldt (German Edition)
unangenehmen Lage zu befreien, lag bestimmt noch mehr drin. Es gab andere unangenehme Lagen, in die sie geraten könnte. Mit unangenehmen Lagen kannte sich Lorena aus. Da brauchte sie den alten Mann nicht.
Lorena malte sich aus, welche Chancen sie Weynfeldt geben könnte, ihr aus der Patsche zu helfen, und kam rasch auf eine ganze Menge. Wenn sie jeder davon etwas Geld zuordnete, ergab sich daraus eine Summe, die sich neben Baiers Fünfzigtausend sehen lassen konnte.
Und dann gab es da noch Plan C. Wann würde sie je wieder an einen wie Adrian Weynfeldt geraten? Geld und Manieren war eine seltene Mischung. Und dass einer, der sie besaß, sich für eine wie sie interessierte – Ende dreißig, die besten Jahre sichtlich hinter sich und keine großen Erwartungen in die, die eventuell noch kamen –, dass einer wie Weynfeldt sich also für eine wie Lorena interessierte, wann kam so etwas schon vor?
Weshalb nicht das Naheliegende versuchen und seine Freundin werden? Wie im Spotlight: ihr reicher Freund. Er schien sich an der Rolle nicht gestört zu haben. Im Gegenteil. Warum sollte Lorena Steiner nicht zu Doktor Adrian Weynfeldt ziehen? Die Wohnung war groß und die Mutter tot.
Sie ging ins Bad und entfernte das nasse Handtuch vom Wasserhahn, das dort hing, weil er tropfte. Sie wusch sich die Hände und begann sich abzuschminken.
Sie wusste genau, warum sie nicht zu ihm ziehen würde, selbst wenn er das gewollt hätte: Weil sie nie mehr, nie, nie mehr zu einem Mann ziehen würde. Das hatte sie sich – nicht zum ersten, aber bestimmt zum endgültig letzten Mal – geschworen, als sie vor zwei Monaten oder so bei Günther auszog.
Günther Walder war der Mann, der Ruhe in ihr Leben bringen sollte. Er kam aus Berlin und war Zellforscher. Eine Kapazität auf dem Gebiet des Zellgedächtnisses. Er verbrachte seine Tage damit, zu versuchen, die Zellen von Fruchtfliegen umzuprogrammieren. Mit dem Ziel, eines Tages menschliche Zellen so programmieren zu können, dass sie sich, je nach Bedarf, zu Haut oder Muskel oder Leber oder sonst etwas Nützlichem entwickeln konnten.
Sie hatte Günther auf einer After-Work-Party kennengelernt, zu der sie der Organisator wegen notorischem Männerüberschuss ab und zu aufbot, gegen ein diskretes Honorar. Günther stand mit einem Glas Orangensaft inmitten der krampfhaft aufgeräumten Gesellschaft, die er um Haupteslänge überragte. Wie bestellt und nicht abgeholt, hatte sie später zu ihm gesagt. Er trug als einziger Jeans, dazu ein ausgebeultes Tweedjackett und ein gelbes T-Shirt mit der roten Aufschrift »4. Internationales Sandskulpturenfestival Berlin«.
Sie hatte ihn gefragt, was er so treibe im Leben, und er hatte geantwortet: »Fruchtfliegen paaren.« Das hatte sie lustig gefunden und sich zu ein paar Glas Champagner einladen lassen. Es stellte sich heraus, dass er vor drei Monaten hierhergezogen war und außer in der Unikantine noch nie auswärts gegessen hatte. Sie führte ihn ins Mistral, das beste Fischrestaurant der Stadt, und als sie bestellten, erfuhr sie, dass er keinen Fisch aß.
»Ich glaube, die haben hier auch ein paar Fleischgerichte«, hatte sie gesagt. Und er hatte geantwortet: »Ich esse keine tierischen Zellen, ich programmiere sie.«
Auch Alkohol nahm Günther keinen zu sich, was Lorena dazu bewog, sich an diesem Abend ebenfalls etwas zu mäßigen. Ihr Entschluss, mit ihm in seine Wohnung zu gehen, war nicht unter Alkoholeinfluss entstanden. Er führte sie in eine Dreizimmerwohnung in einer Neubausiedlung am Stadtrand. Er besaß ein Bett, einen Schreibtisch mit einem Computer, ein Sofa und einen Fernseher, der auf dem Boden stand. Seine Kleider hingen an einem fahrbaren Kleiderständer, wie man sie in Kleiderläden sieht. Überall standen halbleere Bücherkartons, in allen Räumen lagen Bücher in Stapeln nach einem nur ihm bekannten System geordnet. In der Küche gab es Geschirr für zwei Personen, einen großen Vorrat an Spaghetti und Pelati, und auf dem Küchenbalkon stand ein Dutzend Blumentöpfe, in denen Basilikum wuchs. Er bildete sich etwas ein auf seine Spaghetti al pomodoro e basilico und ernährte sich praktisch von nichts anderem.
Günther sah nicht besonders gut aus und war auch kein besonders spektakulärer Liebhaber. Weshalb sie sich so heftig in ihn verliebte, würde ihr ewig ein Rätsel bleiben. Nach knapp drei Wochen warf sie alle guten Vorsätze über Bord und zog zu ihm mit allem, was sie besaß. Richtete sich ein Zimmer ein mit ihren paar
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