Der letzte Weynfeldt (German Edition)
erstaunlich wenig überzogen.
In der Küche war Frau Hauser mit einem Paar beschäftigt, auf dessen langen Kellnerschürzen das Signet von Langoberti eingestickt war, dem ersten Traiteur der Stadt. Sie nahm Weynfeldts Smoking überrascht zur Kenntnis und stellte die beiden vor: »Carla wird mir beim Servieren helfen, Alfredo öffnet die Austern.«
Adrian begrüßte die beiden und fragte dann Frau Hauser: »Können wir den Apero in meinem Arbeitszimmer nehmen?«
»Ich habe ihn schon im grünen Salon vorbereitet, aber wenn es Ihnen wichtig ist…« Es klang etwas mürrisch.
»Ja, es ist mir wichtig, verzeihen Sie. Und ein wenig Fingerfood, nicht wahr. Ihre legendären Blätterteighäppchen.«
Sie musterte ihn jetzt ostentativ von oben bis unten: »Wollen Sie um ihre Hand anhalten?«
»Etwas in der Art«, antwortete er und ging zurück ins Arbeitszimmer.
Er war von einer Mischung aus Abschiedsschmerz und Vorfreude erfüllt, wie vor einer großen Reise. Und auch die Hektik, die ihn erfasst hatte, erinnerte ihn an diejenige, mit der man sich vor großen Abschieden ablenkt.
Frau Hauser klopfte und rollte die fahrbare Hausbar herein. Eines seiner Lieblingsstücke. Der Architekt Alfred Roth hatte es 1932 entworfen. Ein wunderbar schlichtes Möbel aus Stahlrohr, perforiertem Aluminiumblech und spritzlackiertem Birkenholz. Man hob es auf einer Seite an wie eine Schubkarre und bewegte es auf seinen zwei Speichenrädern mit weißen Vollgummireifen.
Er wusste, dass Frau Hauser das Gefährt etwas unpraktisch fand, sie zog den verchromten Servierboy vor, den sie aus dem Nachlass seiner Mutter gerettet hatte. Deshalb wusste er es besonders zu schätzen, dass sie sich offenbar entschlossen hatte, den Apero auf der »kleinbar« zu servieren, wie Roth das Möbel getauft hatte.
Auf dem roten Linoleum des Servierbretts standen Tellerchen mit verschieden gedrehten und geformten Blätterteigstäbchen, sorgfältig zu Mustern gestapelt. Daneben, auf silbernen Untersätzen, zwei Champagnerkelche, flankiert von kleinen Serviettchen. Der Eiskübel mit dem Champagner ragte aus dem Flaschenbehälter.
Adrian bedankte sich und drehte an den Dimmern, bis die Beleuchtung die richtige Mischung aus Festlichkeit und Intimität hatte. Dann legte er Nabucco ein, schaltete die Anlage auf »Pause«, postierte die Fernbedienung in Griffnähe der Hausbar und stellte sich an die Glasfront.
Gegenüber herrschte wieder das klassische Büroschlussbild: Irgendwo war noch eine Sitzung im Gang mit immer unruhiger werdenden Teilnehmern; Putzmannschaften leerten Papierkörbe, wischten über Tischplatten und fuhren Staubsaugerdüsen um die Tischbeine; da und dort saß noch eine einsame Gestalt im fahlen Licht eines Bildschirms. Und im Abstand zwischen den beiden Häusern wehte ein Schleier aus Nebel und Regen.
Die Klingel schreckte Weynfeldt aus seinen Gedanken. Er verließ den Raum, kam noch einmal zurück, nahm die Servietten von der Hausbar, sah sich um und steckte das kleine Bündel schließlich in die Hosentasche.
Lorena sah umwerfend aus. Sie trug das stahlblaue knöchellange Kostüm von Issey Miyake mit dem Stehkragen und dem Reißverschluss. Adrian erinnerte sich, dass es ihm schon im Spotlight besonders gut gefallen hatte, als Lorena es ihm vor den Augen der immer schweigsamer werdenden Besitzerin vorgeführt hatte.
Es besaß einen etwas künstlichen Glanz und war ein wenig geschnitten wie die Uniformen der Besatzung von Raumschiff Enterprise. Das gab Lorenas Erscheinung etwas Fremdes, Unvertrautes. Genau das Richtige für die Rolle, die er ihr ab heute Abend zugedacht hatte.
Sie begrüßte ihn ohne eine Bemerkung über sein Outfit, als ob sie jeden Abend von Männern im Smoking erwartet würde. Frau Hauser gab ihr die Hand wie einer liebgewonnenen Schwiegertochter. Adrian führte sie in sein Arbeitszimmer und drückte auf die Fernbedienung. Das Soundsystem füllte den Raum mit der theatralischen Ouvertüre von Nabucco .
»Was hast du vor?«, fragte Lorena, während Adrian den Champagner entkorkte und die Kelche füllte.
Er gab keine Antwort, reichte ihr eines der Gläser und stieß mit ihr an. Er nahm einen Schluck, Lorena leerte das Glas und küsste ihn stürmisch mit ihrem kalten Champagnermund. Der Kuss fühlte sich so fremd an wie das Kleid. »Worauf trinken wir?«, fragte sie.
»Auf die Millionen«, schlug er vor.
»Welche?«
»Irgendwelche. Oder nein: Auf die Vallotton-Millionen.«
Lorena hielt ihm das leere Glas hin, er füllte
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