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Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Titel: Der letzte Weynfeldt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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wieder in ihrer halbaufgeräumten Wohnung stand, befiel sie ein ungutes Gefühl. Etwas stimmte nicht. Pedroni hatte die Geschichte zu rasch geschluckt. Nicht nachgefragt, nicht gezweifelt. Alles war viel zu leicht gegangen.

36
     
    Vor dem Belotel wartete ein Reisebus mit tschechischem Nummernschild. Die Reisegruppe, Paare mittleren Alters, stand vor der geöffneten Klappe des Gepäckraums an der Flanke des Busses und versuchte ihre Gepäckstücke zu ergattern. Niemand half ihnen dabei, das Belotel war nur ein Dreisternehaus, und der Chauffeur war müde von der Fahrt.
    Seit dem Mittag hatte das Wetter umgeschlagen. Es hatte aufgehört zu nieseln, und die rußige Wolkendecke war löcherig geworden. Plötzlich lagen Straßenstücke und Häuserabschnitte im grellen Sonnenlicht und tauchten kurz darauf wieder unter im gleichmacherischen Grau des Nachmittags.
    Weynfeldt drängte sich unter gemurmelten Entschuldigungen durch die Reisegruppe zum Empfangstisch. Er trug einen Raglanmantel und einen billigen Aktenkoffer, den er am Vormittag bei einem Discounter in der Nähe des Büros gekauft hatte.
    Vor ihm diskutierte die von ein paar Tschechen umringte Reiseleiterin in gebrochenem Deutsch mit der einzigen diensthabenden Empfangsdame. Offenbar waren noch nicht alle Zimmer bereit, obwohl es schon eine halbe Stunde nach der Eincheckzeit war.
    Adrian wartete.
    Er hatte heute Vormittag den ersten ernsthaften Streit mit Véronique gehabt. Er gab zu, er hatte sie etwas hängenlassen in letzter Zeit, war später gekommen und früher gegangen, ohne sie zu informieren. Aber das war auch früher schon vorgekommen und hatte außer ein paar spitzen Bemerkungen von ihr keine Folgen gehabt. Auch nicht in Phasen wie diesen, in denen sie hungerte.
    Aber diesmal hatte er sich, selbst nicht bei bester Laune, zu einer Gehässigkeit hinreißen lassen, die ihm sofort leidtat. Auf ihr verbittertes »Schön, dass man dich auch wieder mal sieht«, hatte er »Ach, friss doch mal wieder was!« geantwortet.
    Daraufhin hatte sie die Computermaus, die sie gerade in der Hand hielt, so weit hochgehoben, wie es das Kabel zuließ, und mit aller Kraft auf den Schreibtisch geschmettert. Deren Bestandteile spritzten in alle Richtungen, und am Kabelende blieb etwas Metallenes, elektronisch Aussehendes zurück, das noch einige Sekunden von der Stuhllehne baumelte, bevor es reglos hängenblieb.
    »Das wär’s dann«, stellte sie trocken fest, und Adrian wusste nicht, ob sie es auf die Computermaus oder das Arbeitsverhältnis bezog.
    Er quittierte mit einem trockenen »Gleichfalls« und überließ es ebenfalls ihr, die Bemerkung zu interpretieren.
    Die Diskussion um die Zimmer war noch immer im Gange. Weynfeldt drängte sich zum Empfangstresen vor, ohne sich um die tschechischen Proteste zu kümmern. »Bitte melden Sie mich im Zimmer 412.« Pedroni hatte Weynfeldt nur die Zimmernummer angegeben, und offiziell kannte Adrian dessen Namen nicht.
    Die Rezeptionistin warf ihm einen genervten Seitenblick zu. »Moment.« Sie wandte sich wieder der Reiseleiterin zu.
    »Nein, jetzt«, sagte Adrian mit seiner neuen Bestimmtheit.
    Die Rezeptionistin würdigte ihn keines Blickes. Aber sie nahm den Hörer, wählte eine Nummer und sagte: »Ihr Besuch ist da.«
    Sie legte auf, sah ihn kurz an und murmelte, bereits wieder den Neuankömmlingen zugewandt: »Vierte Etage.«
    Im Lift roch es nach Schweiß und Aftershave. Adrian musterte sich im Spiegel. Wie ein Auftragskiller, dachte er. Die Waffe in seinem Köfferchen war zwar nicht tödlich, aber ein paar Jährchen ihres Lebens würde sie seine Opfer schon kosten.
    Im Korridor roch es abgestanden nach Auslegeware und Staubsaugerbeutel, das dünne Furnier der Tür zur Nummer 412 war unterhalb des Schlosses vom klobigen Anhänger des Zimmerschlüssels halbkreisförmig abgewetzt.
    Weynfeldt klopfte.
    Pedroni öffnete und bat ihn mit einer ironischen Verbeugung herein. Im Zimmer hing der parfümierte Rauch der Marlboros, deren Stummel den halben Aschenbecher füllten. Pedroni war nervös, wie Weynfeldt befriedigt feststellte.
    »Wollen Sie ablegen?«
    Weynfeldt schüttelte den Kopf.
    »Ist es da drin?« Er zeigte auf das Köfferchen.
    Weynfeldt hielt es ihm hin.
    Pedroni nahm es und legte es auf den Tisch, der als Schreibtisch diente. Er ließ die Verschlüsse aufschnappen und öffnete den Deckel.
    Da lag sie, die Million zweihundert. Etwas verrutscht vom Transport, denn sie füllte das Köfferchen bei weitem nicht aus. Aber da lag

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