Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
an der gegenüberliegenden Wand, der Boden sank in die Erde darunter ein. Alte Cottages hatten kein Fundament – sie waren direkt auf den Grund gebaut, das Gewicht der Wände hielt sie aufrecht –, aber das bedeutete, dass sich die Feuchtigkeit überall ausbreitete, wenn nicht geheizt wurde, und dieses Haus war lange kalt geblieben. Der Teppichboden wirkte verzogen und auf der Wand gegenüber war in Kopfhöhe eine Gezeitenmarke zu sehen. Die Tapete war verblichen und schälte sich in den Ecken von den Wänden. Rosa Blumenmuster.
Merki stand neben ihr. »Was hältst du davon?«
Sie trat einen Schritt zurück und sah ihn an. »Willst du darüber schreiben?«
»Vielleicht.« Wäre es wahr gewesen, hätte er es abgestritten.
Sie sah ihn nachdenklich an. »Merki, wieso sind wir hier?«
Er zuckte mit den Schultern, sah weg und zuckte noch einmal. »Weiß nicht. Hintergrundrecherche?«
Er hatte etwas vor. Auf jeden Fall. Er markierte den Unschuldigen, aber er hatte unterwegs ständig auf die Uhr gesehen und nun machte sich ein selbstzufriedenes Grinsen in seinen Mundwinkeln bemerkbar. Er wusste nichts von Kevin, sonst hätte er ihn erwähnt. Die Archiv-Artikel über McBree und Donaldson in ihrer Tasche fielen ihr wieder ein, und dass diese seit Monaten niemand mehr angesehen hatte, wie die Stempel darauf verrieten. Merki wusste also auch nichts von McBree. Andererseits wusste sie selbst kaum etwas über ihn.
»Komm, wir sehen uns mal um«, sagte sie.
Hintereinander stapften sie durch das feuchte Gras. Hinten befand sich ein lang gestreckter Garten, der nach zehn Jahren ohne Pflege im Unkraut erstickte. Die angrenzende Straße lag hinter hohen Bäumen verborgen, doch man hörte die vorbeifahrenden Wagen und Laster. Am entferntesten Ende befand sich der Obstgarten, unter dem sich seine Eltern hatten fotografieren lassen. Winzige Äpfelchen wuchsen daran, so groß wie Kirschen, und dichtes dunkelgrünes Efeu überwucherte die Stämme und auch einige der Äste. Sie konnte nicht erkennen, unter welchem Baum sie genau gestanden hatten, aber sie war sicher, dass es hier gewesen war. Ein Einzelkind musste sich an diesem Ort ziemlich einsam gefühlt haben.
Die Küche war karg und einfach, Staub und Mäusedreck bedeckten den Tisch. Ein Pappkarton stand auf einer Kommode, vergammelte in der Feuchtigkeit. Mäuse hatten ihn durchlöchert und sich ein Zuhause darin gebaut. Einen Herd schien es nicht zu geben. Das Haus lag draußen auf dem Land und war keine Sozialwohnung, aber es war sehr bescheiden. Sie hatte immer angenommen, Terry käme aus einer reichen Familie, aber das unterstellte sie jedem, weil sie selbst aus armen Verhältnissen stammte.
Sie trat zurück und sah, dass Merki durch einen weiteren Riss im Mauerwerk blickte, der über dem Küchenfenster begann.
»Komm, wir fahren wieder.«
Aber Merki zögerte. Er trat an die Hintertür und wischte den Schmutz vom Schlüsselloch. »Das krieg ich auf. Willst du rein?«
»Nein.«
»Schon gut, musst ja nicht«, sagte er und zog einen Ring mit Dietrichen aus der Tasche.
»Merki, das bringt’s nicht, außer Mäusen gibt’s da drin nichts zu sehen.«
Er hielt inne, sah auf die Uhr, rechnete im Kopf etwas aus und nickte. »Ja, na gut.«
Mit gesenktem Kopf ging er ihr voraus zum Wagen zurück.
Als sie drinsaßen, zündete sie sich eine Zigarette an und hielt ihm ebenfalls eine hin, doch er lehnte ab. »Wieso siehst du andauernd auf die Uhr?«
Er zuckte mit den Schultern und warf anschließend einen Arm über die Sitzlehne, um rückwärts aus der Ausfahrt herauszufahren. Er versuchte in derselben Spur herauszufahren, die er ins Gras gewalzt hatte.
»Wartest du auf was? Hätten wir hier jemanden trefen sollen?«
Er hielt an, spähte auf die vorbeirasenden Fahrzeuge auf der Straße hinaus. Nur einen Meter vor ihnen fuhren die Autos so schnell vorbei, dass sie die Gesichter der Fahrer nicht erkennen konnten. Ein Laster raste aus Glasgow kommend in die nicht einsehbare, scharfe Kurve und polterte auf sie zu. In letzter Sekunde korrigierte er die Richtung und verfehlte Merkis Motorhaube dadurch nur knapp.
»Ich würde ja gerne wieder zurück, aber die lassen uns nicht …« Er fuhr noch ein paar Zentimeter dichter an den Asphalt heran. »Man muss einfach fahren … denke ich.«
Es war beängstigend: Merki schoss blitzartig vorwärts, genau in dem Moment, in dem ein Range Rover mit achtzig um die Kurve raste. Merkis Nissan hatte keine Kraft und es gelang ihm nicht, genug
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