Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
hinein schrie er: »Tschüss!«
II
Der riesige schwarze Mercedes war typisch für seinen extravaganten Stil: Er ließ den Neubau, den er mit Sandra, der zweiten, höchstwahrscheinlich aber nicht letzten, Mrs. George H. Burns bewohnte, noch kleiner wirken, als er ohnehin schon war.
Die Neubausiedlung war auf einem ehemaligen Schulsportgelände entstanden. Das nicht sehr große Gelände war intelligent genutzt, kleine Straßen schlängelten sich in kurze Sackgassen hinein, was einerseits der Verkehrsberuhigung diente und andererseits den Eindruck vermittelte, die Siedlung sei gar nicht so winzig. Keines der aus gelbem Backstein erbauten Häuser glich exakt dem anderen, aber die Unterschiede waren minimal und beschränkten sich auf kosmetische Kleinigkeiten, mal befand sich die Garage links statt rechts oder es war ein kleines Fenster in das Treppenhaus oder das Dach eingelassen. Es gab gerade genug Unterschiede, um den Eindruck von Individualität zu vermitteln, ohne dass sich der Architekt etwas wirklich Originelles hatte ausdenken müssen. Angesichts solch brutaler Ausdruckslosigkeit sehnte sich Paddy nach ihrem Ghetto zurück.
Pete freute sich, weil sie ihn aus dem Unterricht geholt hatte. Er ging zwar gerne zur Schule, aber unerwartete Ereignisse machten ihm großen Spaß: Überraschungsausflüge, in letzter Minute geänderte Urlaubspläne, plötzlich entstandene freie Zeit, weil lästige Vorhaben ausgefallen waren. Er hielt seinen Rucksack fest und sah aus dem Taxifenster, als wäre er zum ersten Mal in der Gegend.
»Bleibe ich hier? Wie lange?«
»Ich weiß nicht, Kleiner, nur wenn dein Vater nichts dagegen hat und dann auch nur ein, zwei Tage.«
»Mein Ghost Train -Video ist hier. Bei Dad darf ich immer Video gucken. Besuchen wir trotzdem Oma Trisha am Samstag? Darf ich trotzdem mit BC spielen?«
Das Taxi fuhr vor dem Haus vor. »Bis dahin ist es noch lange hin.«
»Aber darf ich am Samstag zu BC?« Er war ganz aufgeregt, lächelte mit großen glänzenden Augen. »Darf ich?«
»Ja, du darfst.«
Er grinste breit, und sie schlang die Arme um ihn, küsste ihn überall im Gesicht, bis er es langweilig fand und sie wegschob.
Sie bezahlten den Fahrer und stiegen aus, gingen an dem kurzen Rasenstück vorbei und über die gelben Steinplatten zur Haustür. Kam man aus einer Altbauwohnung hierher, wirkte alles ein bisschen zu klein geraten: Die Türen waren schmal, die Decken niedrig, sogar die Fenster wirkten wie Spielzeugattrappen.
Sie klingelten an der Tür und starrten die Oberfläche an. Pete fuhr mit dem Finger über die künstliche Holzmaserung, die sich auf dem Panel daneben exakt wiederholte. »Ist das Brett vom selben Baum?«
»Ich glaube, das ist Plastik mit Holzmuster.«
Er kniff die Augen zusammen. »Plastik soll aussehen wie Plastik.«
»Das finde ich auch.«
Man hörte Schritte im Flur, dann öffnete Burns die Tür, ließ plötzlich die Schultern hängen, riss sich aber rasch wieder zusammen. Er schenkte Pete sein schönstes Showbiz-Lächeln.
»Na, hallo, kleiner Mann«, sagte er, als Pete die Arme um Burns’ Bein schlang. Burns hob seinen Sohn hoch und drückte ihn herzlich. »Wieso bist du denn nicht in der Schule?«
Pete hing am Hals seines Vaters und ließ sich zu Boden gleiten, indem er langsam den Griff löste. »Mum ist gekommen und hat mich deholt.«
»Geholt«, korrigierte ihn Paddy.
Er rannte in den Flur, um nachzusehen, was in der Küche los war.
»Also?« Burns musterte sie von oben bis unten. »Wieso hat sie das wohl getan?«
Sie sah scheiße aus, das wusste sie. Ihr schwarzer Rock war verknittert, an ihrer schwarzen Seidenbluse fehlte unten ein Knopf und sie trug bescheuerte orangefarbene Turnschuhe. Burns hatte in den letzten Jahren abgenommen; er war fernsehtauglich dünn geworden, so dünn, dass sein Kopf unverhältnismäßig groß wirkte. Dub meinte, er sähe aus wie ein Ballon an der Strippe. Heute hatte ihm Sandra ein weißes T-Shirt und weiße Jeans rausgelegt, die so steif gebügelt waren, dass sie aussahen, als hätte er sie direkt aus der Plastikverpackung gerissen. Außerdem war er braun gebrannt; sie leisteten sich eine Sonnenbank. Paddy stellte sich das Haus in der Abenddämmerung vor, alles war dunkel, abgesehen von einem winzigen Schlafzimmerfenster, das neonblau erstrahlte.
In der Küche schob Pete eine Videokassette in den Rekorder und die Anfangsmelodie von Ghost Train erklang.
Paddy legte ganz plötzlich die Hand auf den Mund, presste ihre Finger in
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