Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
begreifen, was das bedeutete und weshalb sie es ihm erklärte. »Abseits der Straße nach Stranraer, von wo aus die Fähren nach Belfast ablegen.«
»Kam Terry vom Schiff? War er in Irland gewesen?«
»Keine Ahnung. Er wurde splitterfasernackt im Graben gefunden, durch einen einzigen Kopfschuss getötet.«
»Meine Güte, das ist ein Riesending.« Larry wandte sich dem Computerbildschirm zu, um nachzusehen, wer gerade Dienst hatte. »Merki …«
»Nein.« Paddy schlug entschlossen mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ich schreib’s selbst. Nicht namentlich gekennzeichnet, aber ich mach’s.« Merki war ein routinierter Schreiber und er würde wissen wollen, wie Paddy auf die Sache mit Terry gestoßen war. Wenn er Wind davon bekam, dass sie persönlich damit zu tun hatte, würde er es Larry erzählen, und der würde sie dazu verdonnern, eine rührselige Geschichte aus eigener Erfahrung über die Identifizierung der Leiche im Leichenschauhaus zu schreiben. So was wollten sie immer, ganz besonders aus Frauensicht.
Larry lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, kratzte Sandwichreste aus einem Backenzahn und beäugte sie argwöhnisch. Es hatte Zeiten gegeben, in denen niemand freiwillig einen Text ohne Angabe des Autorennamens geschrieben hätte. Selbst heutzutage war es noch üblich, sich bitten zu lassen.
»Was hast du gegen Merki?«
»Nichts, aber ich kenne Terry. Kannte Terry. In der Zeit, die ich brauche, um Merki ins Bild zu setzen, kann ich den Artikel auch selbst schreiben.«
Larry zögerte.
»Okay. Hol Merki. Oder noch besser: Schreib’s selbst. Kriegst du das in fünf Minuten hin? In zehn gehen wir in Satz.«
»Kein Problem. Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen?«
»Freitag«, meinte Larry. »Im Babbity’s, da war er was trinken. Er hatte einen Buchvertrag abgeschlossen und mit dem Scheck angegeben. Zweihundert Pfund.«
»Das ist nicht viel, oder? Ich hab ja sogar für Shadow of Death mehr bekommen, und das hat auch keiner gekauft.«
»Sollte ein Bildband werden, wenig Text, aber teuer in der Herstellung.«
»Was für ein Bildband?«
»Fotos von Menschen. Amerikanern. Sollte bei Scotia Press erscheinen«, erklärte Larry. »Wer hat das nur getan?« Er sah sich verstört auf seinem Schreibtisch um. »Ist es ganz bestimmt unser Terry? Sind die sicher? Kann es sich nicht um einen Irrtum handeln?«
Eine Sekunde lang sahen sie sich gegenseitig in die Augen. Es war ein Moment der Traurigkeit und des Schocks über den Verlust. Beide hatten sie Terry Hewitt über zehn Jahre lang gekannt, seit seine Eltern bei einem Autounfall gestorben waren, hatten ihn als vielversprechendes Nachwuchstalent geschätzt, während seiner Auslandsreisen an ihn gedacht und sich mit ihm über seine Erfolge gefreut. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten sie ihn dann noch einmal ganz anders kennengelernt, als er aufgedunsen und verzweifelt Arbeit gesucht hatte und sie ihm wiederbegegnet waren. Paddy kaute auf ihrer Wange herum, biss fest auf ein Knötchen verhärteter Haut in ihrem Mundwinkel. Sie schmeckte Blut.
»Larry«, fuhr sie ihn an, »bitte … sieh mich nicht so an. Ich muss mich zusammenreißen, bis ich hier rauskomme.«
Larry nickte traurig und Paddy wandte sich zur Tür.
»Du bist fett und keiner kann dich leiden«, rief ihr Larry nach, um sie aufzuheitern.
»Danke, Larry.«
II
Paddy war vor Schlafmangel schon ganz zittrig. Als sie die Wagentür öffnete, merkte sie, dass ihre Hände flatterten. Die Sackgasse war frei von Autos, das Nachbarhaus verbarrikadiert. Dichtes Sommergras wucherte in den Gärten, das Unkraut spross üppig aus den Ritzen im Bürgersteig. Das Haus neben dem der Meehans stand leer, seit Mr. Beattie in ein Pflegeheim gezogen war. Das Dach hing durch, sah aus, als wollte es einstürzen. Sie war in Eastfield Star aufgewachsen, einer kleinen sozialen Wohnbausiedlung, die auf dem Brachland zwischen Cambuslang und Rutherglen für Bergarbeiter gebaut worden war. Die Häuser waren klein und flach, teilweise in mehrere Wohnungen unterteilt, manche aber wurden auch nur von einer großen Familie wie der ihren bewohnt.
Die Straßen gingen von einem zentral gelegenen Kreisverkehr ab und führten durch eine früher freundliche Gegend, in der anständige Familien lebten. Eigentlich hätte das immer noch so sein können. Die Häuser waren ein bisschen feucht und die Fenster klein, aber die Grundsubstanz gut. Als die älteren Anwohner starben, wurden sie jedoch durch weniger angenehme Bewohner
Weitere Kostenlose Bücher