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Der letzte Wille: Thriller (German Edition)

Der letzte Wille: Thriller (German Edition)

Titel: Der letzte Wille: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Mina
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konnte schon vom Parkplatz aus sehen, dass sich die Daily News für den Tag bereitmachte. In dem langgestreckten Bürogebäude mit der schwarzen Glas- und Chromfassade war unten auch eine Druckerei untergebracht, die man durch eine Glaswand einsehen konnte. Ein Strom von Zeitungen floss über ein Band, die Tinte trocknete, das maschinengewehrfeuerartige Klappern der Druckermaschinen hallte durch den stillen Morgen. Lasterfahrer versammelten sich an der Ladebucht und warteten auf die Zeitungsbündel. Oben im zweiten Stock waren im rechten Teil des Redaktionsraums die Lichter noch ausgeschaltet. Der Dösbereich. Als sie noch Nachtschichten geschoben hatte, war immer eine Hälfte des großen Raums für diejenigen dunkel geblieben, die schlafen wollten. Inzwischen war die Belegschaft so sehr geschrumpft, dass sowieso nur noch der halbe Raum genutzt wurde.
    Die ständig sinkenden Verkaufszahlen der Daily News hatten einen ungeheuren Verschleiß an leitenden Redakteuren zur Folge, von denen jeder einzelne seinen Job mit dem Versprechen antrat, eine globale Entwicklung rückgängig zu machen und den Inhabern zu mehr Profit zu verhelfen. Die einfachste Art, Kosten einzusparen, bestand darin, die Löhne zu senken. Paddy war ein Jahr lang ausgestiegen. Als man sie vom Herald wieder abwarb und sie zur Daily News zurückkehrte, fehlte ein Drittel der Belegschaft. Fairerweise muss man dazu sagen, dass die Zahl der Mitarbeiter in den Sechziger und Siebzigerjahren ungeheuer großzügig bemessen war. Damals durfte ein Fahrer keinen Transporter beladen und ein Journalist keinen Papierkorb leeren. Sogar Aushilfsjobs wurden so gut bezahlt, dass Väter sie stolz ihren Söhnen übertrugen.
    Zu der Zeit, als Paddy dort einstieg und Mädchen für alles wurde, galt es noch als hohe Kunst, sich Redakteuren zu widersetzen und um Aufgaben herumzudrücken. Jetzt hielten alle die Köpfe gesenkt, weil sie wussten, dass sie aus purem Glück von den Entlassungen des jeweils neuen Chefredakteurs verschont geblieben waren. Sie freuten sich, auf einem schrumpfenden Markt überhaupt noch Arbeit zu haben.
    Paddy betrachtete prüfend ihr Bild im Rückspiegel und sah ein vom Weinen verquollenes Gesicht. Sie würde sich mit Müdigkeit herausreden.
    »Man hat mich aus dem Schlaf gerissen«, sagte sie sich. »Ich hab fest gepennt und bin gerade erst aufgewacht.«
    Sie zitterte, war noch zu verletzlich, um die Redaktionsräume zu betreten, ohne ihr professionelles Pokerface aufzusetzen, ohne sich zu wappnen. Früher war sie so unbedeutend gewesen, dass es niemandem aufgefallen wäre, wenn sie sich über ihrem Schreibtisch erhängt hätte, aber das war lange her. Jetzt hatte sie einen Namen, bezog ein dickes Gehalt und zu allem Überfluss war sie auch noch eine Frau.
    Ihre Kolumne hatte als Bestandteil der Kummerkastenseite im Herald begonnen und war ihr von einem freundlich gesonnenen Redakteur zugeschanzt worden, als ihr Sohn Pete mit einer beidseitigen Lungenentzündung im Krankenhaus gelegen hatte. Damals hatte sie sich darüber gefreut. Eine Kolumne bedeutete, dass sie das Krankenhaus nicht verlassen musste und den Text vom Münzfernsprecher in der Lobby aus durchgeben konnte. Die Ansichten, die sie darin äußerte, entsprachen genau dem, was man von einer Mutter erwarten durfte, die Tag für Tag zusah, wie ihr Sohn nach Luft rang. Die Texte waren wütend, impulsiv und schonungslos. Sie war bald so umstritten, dass sie die gesamte Seite fünf und eine Erwähnung auf der Titelseite bekam. Außerdem wurde ihr Autorenname schon in der Unterüberschrift genannt. Die Daily News kaufte Paddy schließlich zurück, in der Hoffnung, ihre Leser würden ihr folgen.
    Die Kolumne las sich so, wie Paddy klang, wenn sie schlecht gelaunt vor sich hin schimpfte. Sie hatte einen Schauspieler in die Pfanne gehauen, weil er bei einer Veranstaltung zugunsten irgendeines guten Zwecks eine Rede in aufrichtig bester Absicht gehalten, aber von der Sache absolut keine Ahnung gehabt hatte. Ein anderes Mal hatte sie über die Freizeitkleidung von Fußballspielern und deren Geschmacksverfehlungen (»Dreckschweine in kurzen Hosen«) geschrieben. Manchmal waren ihr die eigenen Texte peinlich, als hätte sie einen Kater von ihrer eigenen Übellaunigkeit bekommen, aber sie erhielt auch großen Beifall dafür. Sie hatte ihr Talent entdeckt, die richtigen Worte für das zu finden, was die Nation erregte. Eine exorbitante Gehaltserhöhung und die Möglichkeiten, die ihr eröffnet wurden,

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