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Der letzte Wille: Thriller (German Edition)

Der letzte Wille: Thriller (German Edition)

Titel: Der letzte Wille: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Mina
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linderten ihr Gefühl der Beschämung. Sie wurde zunächst auf lokaler Ebene, dann aber auch landesweit zu Radio- und Fernsehauftritten eingeladen. Sie gab ein dreimonatiges Gastspiel bei einer Fernsehsendung, die jeweils sonntagsmorgens ausgestrahlt wurde, und da sie im Licht der Scheinwerfer noch rabiater wirkte, stellten sich die Leute sogar den Wecker, um nur ja die Sendung nicht zu verpassen.
    Sie hatte die Kolumne »Land of Sophistry and Mist« genannt, nach einer Zeile von Byron über die Schotten. Der damalige Redakteur vom Herald (aus Bristol – er hielt sich fünf Monate) fand den Titel zu aufgesetzt und bildungshubernd und kürzte ihn, ohne dies mit ihr abzusprechen, auf »Land of Mist« herunter. »Giving it Misty« war, was nur wenige wussten, ein Ausdruck für dumpfes Auf-die-Pauke-Hauen.
    In der Anfangsphase hatte sie die Angst um ihren Sohn inspiriert, aber schon bald ging es Pete besser. Er neigte zu Bronchialinfekten, aber nicht schlimmer als andere Kinder. Obwohl sie nun beruhigt und zufrieden war, zog sie einmal wöchentlich über irgendein Thema her. Das Niveau sank ständig und sie fing an, Ideen zu klauen: Sie pickte sich wütende Menschen heraus und quetschte sie aus. Sie brach sogar in der Press Bar Streitereien vom Zaun, nur um unterschiedliche Standpunkte zu irgendeiner beliebigen Sache zu hören.
    Sie hatte Erfolg und wusste, dass die Kollegen über sie redeten. Sie stellten wenig vorteilhafte Spekulationen über ihr Sexualverhalten, ihr Einkommen und ihr Familienleben an.
    So hoch gelobt ihre übellaunigen Tiraden auch waren, sie fürchtete, eines Morgens aufzuwachen und feststellen zu müssen, dass sie sich in Misty verwandelt hatte, dass sie sich ihr öffentliches Image zu eigen gemacht und angefangen hatte, tatsächlich so zu denken. Sie hatte Kolumnisten erlebt, denen das passiert war.
    Sie drehte sich zu dem Gebäude um. Terry Hewitt hatte einmal, vor gefühlten hundert Jahren, vor der Tür gestanden und auf sie gewartet, hatte den linken Fuß an der Wand hinter sich abgestützt. Mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht hatte er hochgesehen, als sie auf ihn zukam. Er hatte eine Lederjacke getragen, das hatte sie beeindruckt.
    Sie war mitten in der Nacht aus Fort William verschwunden, war mit hundertzwanzig über die Landstraßen gerast, nur um von ihm wegzukommen. In seinen Artikeln war nachzulesen, dass er erlebt hatte, was Korruption und Brutalität mit Menschen machen, dass er gesehen hatte, wie Frauen vergewaltigt und ermordet, Kinder verstümmelt und ganze Dörfer in Brand gesetzt worden waren. Sie erinnerte sich an seinen Artikel über einen fünfzehnjährigen Angolaner, der vor seinen Augen mit einem Kopfschuss getötet worden war. Sie war so naiv gewesen zu glauben, er sei unverändert daraus hervorgegangen. Lächerlich.
    Es wollte ihr nicht gelingen, ihr professionelles Pokerface aufzusetzen. Sie würde trotzdem hineingehen müssen, sonst verpasste sie den Redaktionsschluss für die Spätausgabe. Sie holte tief Luft, griff nach dem Türöffner und setzte einen Fuß auf den holprigen Betonboden des Parkplatzes, stieg aus und schloss den Wagen hinter sich ab. An der Ladebucht standen Lieferwagenfahrer herum, sahen auf, als sie sich näherte. Die Männer unterbrachen ihr Gespräch und beobachteten Paddy auf dem Weg zum Personaleingang, ihre Köpfe drehten sich, bewegten sich gleichzeitig und aufeinander abgestimmt, wie die Glieder eines neugierigen Tieres. Sie hätte ihnen Hallo sagen können, aber sie brachte es nicht fertig. Sie schob die Tür des Personaleingangs auf und trat von der Straße in den eiskalten, steinernen Eingangsbereich. Kaum war die Tür zugefallen, würde einer von ihnen etwas Abfälliges sagen, eine Bemerkung über ihren breiten Hintern oder darüber machen, wen sie wohl in letzter Zeit vernascht hatte.
    Sie knallte die Tür zu, zog sie aber noch einmal auf, beugte sich hinaus auf die Straße und funkelte die Männer drohend an. Einer von ihnen erstarrte mit offenem Mund, er hatte schon Luft geholt, um eine abfällige Bemerkung vom Stapel zu lassen.
    »Über wen redet ihr blöden Wichser?«, fragte sie betont langsam.
    Sie fühlten sich ertappt und lachten.
    Noch bevor die Männer antworten konnten, wich Paddy in das Gebäude zurück und stieg schwerfällig die Treppe hoch, hielt erst an der Tür zu den Redaktionsräumen inne. Sie zupfte ihr Kleid zurecht und runzelte die Stirn. Emotionale Aufgewühltheit ließ sich meist mit einem mürrischen

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