Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
Chefredakteur legte ihr den Arm um die Schulter und drückte sie voller Zuneigung.
Die Neuigkeit hatte sich herumgesprochen, dass Paddy mitten in der Nacht aufgetaucht war, um den Artikel über Terry zu schreiben, und alle glaubten, sie habe es aus Anstand und Mitgefühl getan. Obwohl dies auf einem Missverständnis beruhte, freute sie sich über den warmen und herzlichen Empfang. Am liebsten hätte sie sich zu jemandem umgedreht und erzählt, dass sie gerade dem berühmtesten Verbrecher Schottlands begegnet war und er ein Pulverfass kurz vor der Explosion sei. Aber das tat sie nicht. Sie stellte sich zu ihnen, lächelte traurig, als das Gespräch auf Terry kam, und erlaubte dem stellvertretenden Chefredakteur erneut, sie zu drücken, die Hand tiefer rutschen zu lassen und es an ihrer Taille zu versuchen, bis sie sich losmachte und sagte, sie müsse etwas aus ihrem Verteilerfach holen.
Sie wandte sich an den Nächstbesten, einen kleinen kahlen Veteranen. »Wer ist hier von der Innenpolitik?«
»Billy, da drüben.«
Billy Dadrüben hatte noch den Mantel an und rauchte derart roboterhaft eine Zigarette, dass man davon ausgehen durfte, dass er total betrunken war.
»Billy, mit wem kann ich über die IRA sprechen?«
Billy hatte Probleme, seinen Blick scharf zu stellen. Er blinzelte sie mehrfach an, bevor seine Lippen einen Namen formten: »Brian Donaldson.«
»Klein, strohblond, Brille?«
Er schüttelte den Kopf. »Eins fünfundachtzig, kurze braune Haare, dick, keine Brille.«
»Wo erwisch ich ihn?«
»Shammy’s.«
Sie zögerte. »Lallst du und meinst du Sammy’s oder heißt der Laden wirklich Shammy’s?«
Billy Dadrüben zog betont gelassen an seiner Zigarette, als würde er über die Frage nachdenken. Zigarettenasche fiel ihm auf den Mantelaufschlag. »Schweiteres.«
Paddy überließ ihn dem Rauchen und kehrte zur Gruppe zurück. »Gibt’s ein Pub namens Shammy’s?«
Einer der Sportredakteure hob triumphierend den Arm. Shammy’s war die Abkürzung für The Shamrock, einem Celtic-Pub auf der Gallowgate. In Glasgow gab es drei Fußballvereine: den katholischen Celtic Glasgow, die protestantischen Glasgow Rangers und Partick Thistle für Fußballfans, die zum Sektierertum neigten und auf Enttäuschung und Elend standen.
Paddy fand die Nummer im Telefonbuch und erkundigte sich beim Barmann nach Brian Donaldson. Er wollte wissen, wer anrief, als handelte es sich dabei um eine Art Sicherheitskontrolle, und Paddy nannte staunend ihren Namen. Vielleicht hätte sie ein Pseudonym verwenden sollen, falls sie es auf Journalisten abgesehen hatten. Aber jetzt war es zu spät. Donaldson kam ans Telefon.
»Was?« Seine Stimme klang rauchig und warm.
»Äh, Mr. Donaldson, vielleicht können Sie mir weiterhelfen: Gestern Abend kam ein Mann zu mir nach Hause. Er behauptete, mir im Auftrag Ihrer Organisation mitteilen zu wollen, dass Sie mit dem Tod von Terry Hewitt nichts zu tun haben.«
»Haben wir auch nicht.«
»Er wirkte sehr bedrohlich. Können Sie mir sagen, ob es zu Ihrer Strategie gehört, Presseangehörige bewusst ins Visier zu nehmen?«
»Das ist es nicht. Tut mir leid, wenn Sie belästigt wurden. Wer war das?«
»Er sagte, sein Name sei Michael Collins.«
Donaldson lachte leise am anderen Ende.
»Ich weiß«, sagte sie, »zu blöd, aber so nannte er sich. Er ist nicht groß, hat helles Haar, eine Brille mit Metallgestell und er trug einen blauen Pullover.«
»Ach? Verstehe, ja.« Sie hörte ihm an der Stimme an, dass er wusste, von wem sie sprach. »Ich, äh, ich höre mich mal um, dann sehen wir, was ich tun kann. Tut mir leid, Miss Meehan, wenn er Ihnen einen Schrecken eingejagt hat.«
Er legte auf.
Paddy ging zu den Verteilerfächern.
Das große Holzregal war in kleine Fächer unterteilt, unter denen jeweils ein Name stand. Wer bereits seit den Sechzigerjahren für die Zeitung arbeitete, hatte ein Namensschild in geschwungener Schreibschrift, während jene, die in den Siebzigern dazugekommen waren, nur noch einen Aufkleber mit Druckbuchstaben bekommen hatten. Die jüngsten Neuzugänge hatten blaue Klebestreifen, in die ihre Namen weiß eingestanzt waren. Ursprünglich wurden den in der Rangfolge niedrigsten Mitgliedern der Belegschaft die niedrigsten Fächer zugeteilt. Sie arbeiteten sich mit jeder Beförderung auch im Regal weiter nach oben. Als die Mitarbeiter aber zahlreicher wurden, wurden die Verteilerfächer knapp, und in der Regel behielt man das erste Fach, das einem zugeteilt
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