Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
wurde. Seitdem erkannte man altgediente Mitarbeiter an ihrem Verteilerfach weit unten, es galt als sehr ehrenvoll.
Niemand hatte Anspruch auf Paddys Fach angemeldet, als sie weg gewesen war, und deshalb hatte auch sie immer noch ein Fach in der untersten Reihe. Sie ging in die Knie, keine sehr würdevolle Haltung, aber besser, als sich vornüberzubeugen und den Hintern in den Raum zu strecken. In ihrem Fach lagen Faltblätter für die Gewerkschaftsversammlungen. Richards, der neue Vorsitzende der NUJ, war einst bei der News beschäftigt gewesen und sollte eine Rede halten. Außerdem ein Anmeldeformular für einen Wohltätigkeitslauf und eine gelbe Notiz von einer der Sekretärinnen, eine Nummer, Zeit des Anrufs 9.15 Uhr, McBrides Anwälte und Notare, nach Mr. Fitzpatrick fragen wg. Terry Hewitt.
»Miss Meehan?«
Sie sah hoch und stellte fest, dass sich Buntys Spießgeselle förmlich vor ihr aufgebaut hatte. Wie ein Lakai hatte er gemeinsam mit Bunty bei der News angefangen. Hinter seinem Rücken sprachen die anderen von ihm als »Buntys Schoßäffchen«, standen sie ihm aber gegenüber, wussten sie nicht, was sie sagen sollten. Er hatte sich weder vorgestellt noch jemals erklärt, welche Stellung er einnahm, stattdessen bewegte und benahm er sich wie ein Handlanger, schlich sich stets von der Seite an und hielt die Leute bei Laune, die seinen Herrn umgaben. Er war eine Art menschliches Gleitmittel, das dafür sorgte, dass alles reibungslos ablief.
»Bunty möchte Sie einen Augenblick sprechen.«
Bunty, der Chefredakteur, war vor einem Jahr von einer Tageszeitung aus Edinburgh gekommen. Er hatte den Eigentümern der Daily News ein Wirtschaftswunder versprochen, doch auch nach zahlreichen Entlassungen und Umstrukturierungen warf das Blatt kein Geld ab. Bunty war kein glücklicher Mensch.
Der Weg quer durch die Redaktionsräume kam Paddy sehr lang vor. Sie hatte genug Zeit, um panische Angst zu bekommen, sie könne mit Callum gesehen worden sein. Sean würde deshalb seinen Job verlieren und auch sie wäre ihre Arbeit oder ihre Wohnung los und Burns würde sie auslachen, wenn er an den Besuchstagen Pete im Haus ihrer Mutter abholte. Sie merkte, dass sie sehr müde war. Das Wochenende war alles andere als erholsam gewesen.
In der Glaskabine, in der Larry Grey-Lips seine Nächte verbrachte, brannte Licht und die Jalousien waren heruntergelassen. Das Schoßäffchen winkte sie mit der Eleganz eines Butlers heran. Sie klopfte an, öffnete die Tür aber sehr rasch, um im Vorteil zu bleiben.
Bunty saß an einer Ecke des großen Tisches, hielt einen Bleistift in der Hand und verdeckte mit der anderen belangloses Gekritzel. Er war ein kleiner, belangloser Mann und ließ sich nicht gerne dabei erwischen, wie er kleine, belanglose Dinge tat. Er stand mit abwehrend erröteten Wangen auf und versteckte das Blatt. Das Schoßäffchen war hinter Paddy in den Raum geschlüpft und seinem Herrchen um den Tisch herum zur Seite gesprungen.
»Hallo, Patricia.« Bunty überspielte seine Verärgerung, indem er kurz seine Zähne aufblitzen ließ. »Schließen Sie doch bitte die Tür, danke.«
Sie ließ sie einschnappen und setzte sich ihm gegenüber. Es war ein überraschend großer Raum und er beherbergte den großen Tisch, an dem Bunty kleinere Versammlungen einberief. Die eigentlichen Redaktionssitzungen fanden einen Stock tiefer statt.
Obwohl der Tisch beinahe zwei Meter lang war, nahmen das Schoßäffchen und Bunty kaum mehr als einen Meter seiner Längsseite ein und blickten Paddy einträchtig lächelnd und gespielt freundlich an.
Bunty formte mit den Fingern eine Pyramide. Er wirkte wie ein Mann, dem das berufliche Aus bevorstand, und genau das war er. Die Verkaufszahlen der Daily News sanken beständig und auch das Anzeigenaufkommen stürzte in den Keller, da immer mehr große Investoren zum Standard wechselten. Die Daily News machte zwar keine Verluste, aber sie brachte auch keinen Profit, und der Aufsichtsrat hatte die fünf Stadien des wirtschaftlichen Niedergangs bereits durchlaufen: Hoffnung, Enttäuschung, Schuldzuweisungen und Zorn. Die nächste Stufe, das wusste Paddy, war Buntys Entlassung.
»Sie werden sich freuen zu hören, dass der Nachruf auf Terry Hewitt morgen erscheint, eine ganze halbe Seite.«
Wie gewöhnlich hatte Bunty auch diesmal den Redaktionstratsch mitbekommen und dachte nun, sie sei Terrys Freundin gewesen. Paddy dankte ihm trotzdem. »Das ist sehr nett von Ihnen. Er hat hier angefangen, wie
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