Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
gesagt, wie man über die Straße geht?«
»Du hast mir wehgetan.« Er sah sie an, forderte von ihr, dass sie ihn ebenfalls ansah. Sie beschäftigte sich damit, die Schulterriemen seines Rucksacks festzuzurren. »Sei einfach … sei vorsichtig.«
Er schlug ihre Hand weg. »Ich bin doch vorsichtig.«
»Tut mir leid. Ich hab mich erschreckt, als du losgerannt bist. Tut mir leid.« Entschuldigungen gegenüber einem Kind – ihre Mutter würde das entsetzlich finden. Entschuldige dich nie und erkläre auch nichts, würde Trisha sagen, was für sie auch in Ordnung ging: Alles, was sie tat, wurde ihr von der Kirche oder von den Lehrern der katholischen Kirche vorgegeben. Paddy wollte, dass Pete lernte, Autoritäten zu hinterfragen, aber es war sehr viel schwieriger ihm beizubringen, zwischendurch auch mal den Mund zu halten und zu gehorchen.
»Tut mir leid.«
Pete nickte und sah zu seinen Freunden hinüber und sein Gesicht strahlte vor Freude. Ihr Ausrutscher war vergessen.
»Komm schon.« Sie nahm seine Hand und führte ihn über die Straße.
Er rannte auf den Hof, direkt zu Miss MacDonald, die ihn einer anderen Gruppe zuwies, weg von seinen Freunden. Paddy folgte ihm.
»Miss MacDonald? Könnten Sie Peter heute im Auge behalten?«
»Ist er krank?«
»Nein.« Sie wollte nicht paranoid klingen. »Sie wissen ja, dass Peters Vater und ich nicht zusammen sind?«
Miss MacDonald griff sich an das winzig kleine goldene Kruzifix, das sie um den Hals trug, und zog eine mitleidige Miene, als hätte sie persönlich erfolglos versucht, die Beziehung zu retten.
»Wir streiten uns wegen des Sorgerechts«, sagte sie und klang streng, obwohl traurig besser gewesen wäre. »Ich mache mir Sorgen, dass Peters Vater versuchen könnte, ihn heute von der Schule abzuholen. Würden Sie bitte ein Auge auf ihn haben?«
»Natürlich.«
»Vielleicht kommt er nicht selbst. Vielleicht schickt er einen Freund, um Peter abzuholen.«
»Wir passen auf ihn auf.« Sie wandte sich einem Kind zu, das zwischen verschiedenen Gruppen hin- und herwanderte, und beendete damit die Unterhaltung.
»Lassen Sie ihn bitte mit niemandem außer mir gehen, das will ich eigentlich sagen.«
Aber Miss MacDonald war bereits außer Hörweite.
Paddy trottete vom Hof und blieb draußen mit den anderen Müttern stehen, hielt sich mit beiden Händen an den Zaunstäben fest, redete sich in Gedanken selbst gut zu, um den ihr bereits wohlvertrauten Kloß im Hals herunterzuschlucken: Es geht ihm gut, du machst dir zu viele Sorgen, es ist ganz normal, ängstlich zu sein. Du musst damit aufhören.
Eine laute, ohrenbetäubende Schulglocke unterbrach die fröhlichen Kinderstimmen und prallte von den Gebäudemauern ab. Verspätete Eltern eilten mit ihren Kindern die Straße entlang und schoben ihre Sprösslinge ohne größeres Getue durch das Tor. Miss MacDonald wartete auf die letzten Nachzügler, zog das Tor zu und legte einen Riegel vor.
Paddy sah zu, wie Pete in eine Reihe gestellt wurde, und hoffte, er würde ihr noch ein letztes Mal zuwinken, aber er unterhielt sich mit seinen Freunden.
Bedrückt ging sie zum Wagen zurück, dachte an Michael Collins und daran, wie viel Angst man als Mutter hatte. Dabei gab es keinen Grund, sich ständig so zu fürchten: Sie hatte jetzt ein Foto von Collins, sie konnte es herumzeigen, ihn identifizieren.
Sie schloss die Wagentür auf und stieg ein, kurbelte alle Fenster herunter und zündete eine Zigarette an.
Eltern liefen in alle Richtungen auf der Straße auseinander. Frauen gingen alleine oder in Zweiergruppen zu Fuß, wer mit dem Auto gekommen war, parkte langsam aus, noch immer ein wenig benommen von der plötzlichen Ruhe nach dem morgendlichen Sturm, und freute sich auf die kommenden sechs Stunden bis Schulschluss.
Das Einbahnstraßensystem der schmalen Seitenstraßen führte Paddy an die Ampel auf der Hyndland Road. Sie hielt bei Rot und schloss die Augen, ging in Gedanken durch, was sie zu tun hatte. Collins’ richtigen Namen herausfinden. Kevin Hatcher müsste jetzt aufgestanden sein. Sie würde ihn anrufen und ihn nach dem Bild fragen.
Hinter ihr wurde gehupt. Im Rückspiegel erkannte sie eine Mutter aus der Schule, eine hübsche Frau, deren Sohn stotterte. Die Frau lächelte, deutete auf die grüne Ampel über ihnen und die freie Straße vor ihnen. Paddy hob entschuldigend die Hand und löste die Handbremse. Sie sah zur Seite, hielt nach heranfahrenden Wagen Ausschau und fuhr auf die Straße hinaus.
Sie
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