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Der letzte Wille: Thriller (German Edition)

Der letzte Wille: Thriller (German Edition)

Titel: Der letzte Wille: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Mina
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grell gelbes Sonnenlicht in das Wohnzimmer und warf einen grauen Schatten über sein Gesicht. Seine Augen waren ein klein wenig geöffnet, zwei schmale weiße Streifen. Sie sahen aus wie die trockene Spucke an seiner Wange. Seine rechte Hand lag verkrampft vor seiner Brust, die Hand fest zusammengekrallt. Er hatte einen Schlaganfall gehabt, meinten sie, so gut wie sicher.
    Paddys Stimme war ein ersticktes Flüstern. »Er ist fünfunddreißig. Wie kann er denn einen Schlaganfall bekommen?«
    Die Sanitäter zeigten auf den Wohnzimmertisch. Alle Kisten mit Negativen waren verschwunden. Es sah seltsam aus, weil es die einzige freie Fläche im ganzen Haus war. Auf der Rauchglasplatte lag eine einzelne weiße Line. »Kokain.«
    »Wird er wieder gesund?«
    »Das wird er«, sagte der Sanitäter und vermied, ihr in die Augen zu sehen.
    »Du wirst wieder gesund, Kevin«, sagte sie, hob die Stimme und klang sehr viel ängstlicher, als es ihre Absicht gewesen war. »Mach dir keine Sorgen. Die sagen, dass du gesund wirst.«
    Paddy stand inmitten des Durcheinanders im Flur und sah zu, wie die Rettungshelfer Kevins Lebenszeichen prüften, ihn nicht für tot erklärten, noch nicht. Einer berührte die kreidige Substanz an seinen Wangen und verrieb sie zwischen den Fingern. Es sei grobkörnig, sagte er; auf jeden Fall eine Überdosis. Sie fragten, ob er gewohnheitsmäßig Drogen nahm, und sie sagte, das wisse sie nicht, aber sie glaube nicht: Er trank ja nicht mal mehr. Sie nickten, als sei dies genau die Antwort gewesen, die sie erwartet hatten. Einer von ihnen schien zu zittern, was sie beunruhigte.
    Zwei Polizeibeamte standen in der Schlafzimmertür und redeten leise. Ihre Sommerhemden waren so sehr gestärkt, dass sie wie blaue Pappe aussahen. Schichtbeginn.
    Normalerweise standen nie fünf Menschen in Kevins Flur. Sie mussten genau aufpassen, wohin sie traten. Er war eher der Typ, der seine Sachen fallen ließ, wenn er nach Hause kam, der Leute lieber draußen traf und nach einem schönen Abend mit Freunden alleine nach Hause wankte. Sie sah sich um, stellte sich vor, wie er sich vorgenommen hatte, an einem ruhigen Sonntag aufzuräumen, wie er stattdessen aber doch lieber ausgeschlafen, lange gefrühstückt, Radio gehört und ein Buch gelesen hatte.
    Sie sah noch einmal zu ihm. Sein linker Arm lag unter seinem Körper, die zarte Innenseite seines Unterarms war nach oben verdreht. Sie war blau. Ein riesiger blaugrüner Fleck bedeckte die Haut, eine Prellung. Am Sonntag, als sie ihn besucht hatte, hatte er die noch nicht gehabt.
    Sie machte einen Schritt nach vorne. »Die Prellung da an seinem Arm«, sie zeigte sie dem Sanitäter. »Kann das passiert sein, als er gestürzt ist?«
    Einer von ihnen zog die Schultern hoch, leicht verärgert, weil sie ihn von ihrer Arbeit abgelenkt hatte. »Ich denke schon.«
    Sie versuchte, sich vorzustellen, wie er gefallen sein musste, sodass er sich eine so starke Prellung an der Innenseite des Unterarms zugezogen hatte. Und dann sah sie ihn: einen entsprechenden Fleck unter dem Kinn. Er war nicht leicht zu entdecken wegen des grellen Lichts hinter ihm. Ein u-förmiger blauer Fleck, wie von einem festen Griff, der sein Kinn auf beiden Seiten fixiert und ihn bewegungsunfähig gemacht hatte.
    »Entschuldigung«, sie berührte den Sanitäter an der Schulter. »Sind Sie sicher, dass das ein Schlaganfall war?«
    Er schüttelte ihre Hand ab, verärgert wegen der erneuten Ablenkung. »Ja, das ist es. Klarer Fall, sehen Sie sich seine Hand an.«
    Sie trat um Kevins Füße herum, um sie besser sehen zu können, und der Sanitäter seufzte, warf einen Blick zu den Polizisten zurück. »Können Sie …?«
    Aus Kevins tiefstem Innern drang ein Geräusch, ein Glucksen, das aus seinem Magen zu kommen schien. Eine kleine feuchte Blase bildete sich an seinen Lippen und platzte.
    Er starb. Sie wusste, dass er starb. Einer der Beamten sah Paddy rückwärtsschwanken und packte sie unter dem Arm, drehte ihren Kopf weg. Er nahm sie mit hinaus in den kalten dunklen Gang und riet ihr, tief Luft zu holen.
    »Ist er tot?«
    »Er wird wieder gesund. Die Sanitäter sagen, dass er wieder gesund wird.«
    »Er ist tot, oder?«
    »Nein, er wird gesund.«
    »Er ist tot.«
    Er setzte Paddy auf die Türschwelle der Nachbarn und sagte, sie solle sich vorbeugen und den Kopf zwischen die Beine legen. Sie konnte ihn nicht richtig hören, hielt den Kopf aber gesenkt und schlang die Arme darum, als würde sie von der Polizei abgeführt.

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