Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
redete. »Das ist Martin McBree. Einer der Köpfe der IRA. Ich denke, Sie arbeiten bei der Zeitung?«
»Aber ich weiß nicht, wer das ist.«
»Martin McBree«, sagte sie wieder, als ob damit irgendetwas erklärt wäre. »Das Foto, auf dem er am Blutsonntag einen Mann wegträgt?«
»Hab nie von ihm gehört, tut mir leid.«
»Er war letztes Jahr in New York, als Botschafter, hat die Northern Ireland Aid umstrukturiert. Das kam zu Hause in den Hauptnachrichten. Er hat die Organisation ziemlich auf den Kopf gestellt. Hat eine neue Geschäftsleitung installiert und die ganze alte Truppe abgesetzt, die haben früher immer nur Knarren und Geistesgestörte rübergeschickt. Die Republikaner ändern allmählich ihre Position, nähern sich Friedensverhandlungen an. Jetzt sollen erst mal Friedenswillige in die entsprechenden Machtpositionen gesetzt werden.«
»Also ist McBree einer von den Guten?«
Aoife nickte, um zu signalisieren, dass sie dieser Ansicht war. Paddy dachte wieder an Sonntagabend und an McBree in ihrer Wohnung. Vielleicht hatte sie alles falsch verstanden. Es war einfach nur ein Bauchgefühl gewesen, das sie gegen den Mann eingenommen hatte: Er war mit einem Anliegen gekommen, so viel hatte sie kapiert, das bedeutete aber nicht unbedingt, dass er gewalttätig war.
Sie freute sich, dass sie sich geirrt hatte.
Sie hatten das Baguette gemeinsam so weit wie möglich vernichtet und ließen die Überreste liegen. Paddy packte ihre Zigaretten aus. Aoife nahm eine von ihren.
»Er hat sich viele erbitterte Feinde gemacht.«
»McBree? Aber wollen jetzt nicht alle Frieden?«
»Das sollte man meinen. Das ist das Problem mit dem bewaffneten Kampf. Selbst wenn er am Anfang einem noblen Anliegen dient, so zieht er irgendwann doch Schläger und Sadisten an. Es wird immer eine Fraktion geben, die den Kampf nicht beenden will.« Aoife streckte ihre papierweißen Beine aus und sonnte sie. »Zum Schluss landen sie in der Pathologie. Wir kriegen sie dann alle zu sehen.« Sie blinzelte ihre Zigarette an. »Mein alter Boss zu Hause hatte die Opfer der Shankill Butchers auf dem Tisch. Haben Sie davon gehört?«
»Nein.«
Sie nahm einen weiteren Zug und hielt die Luft an. »Verurteilt wegen neunzehn Morden, aber eigentlich waren es dreißig. Die Shankill Butchers waren eine Bande von Männern, zwölf oder so. Protestantische Loyalisten. Sie hatten sich ein schwarzes Taxi besorgt und fuhren damit nach der Sperrstunde herum. Egal, wer das Taxi herangewunken hat, wurde ermordet. Sie hatten es auf Katholiken abgesehen, aber manchmal erwischten sie auch die eigenen Leute. Sie waren nicht wählerisch. Was sagt uns das über ihre politischen Absichten?«
Sie versuchte besorgt zu klingen, aber in ihren Augen war es lediglich eine Geschichte über gesichtslose Männer, die andere gesichtslose Männer umbrachten.
»Dass sie nur als Vorwand dienten?«
Aoife sah zu einer Gruppe von Arbeitern hinüber, die ihre Mittagspause zum Sonnenbaden nutzten und sich auf der anderen Seite des glitzernden Wassers bis zur Hüfte ausgezogen hatten. »Ein Mann, Thomas Madden, ein stiller Mann, achtundvierzig, unverheiratet, ein Sicherheitsbeamter. Sie haben ihn sechs Stunden lang an den Füßen aufgehängt. Einhundertsiebenundvierzig Messerstiche. Sie stachen stundenlang auf ihn ein.« Sie knackte mit dem Handgelenk. »Nur einer hat zugestochen, das konnte man an der Form der Wunden erkennen. Der Todeszeitpunkt wurde auf vier Uhr morgens festgelegt. Nachdem man ihn gefunden hatte und der Tatort bekanntgegeben worden war, meldete sich eine Zeugin, eine Frau, die um zirka vier Uhr dort vorbeigekommen war. Sie war auf dem Nachhauseweg von einer Party und sagte, sie habe die Stimme eines Mannes gehört. Sie habe gedacht, er sei völlig betrunken und außer sich. Er habe immer wieder gerufen: »Tötet mich, tötet mich.« Aoife legte sich traurig die Hand auf die Brust. »Ich weiß nicht, wieso mir das so zusetzt.«
Paddy hob die Hand. »Also, mir reicht das auch schon.«
»Na gut, was ich sagen will, ist: In Friedenszeiten wären die Butchers nur sadistische Serienmörder gewesen, aber in den Augen mancher Leute gelten sie als Volkshelden. Und das sind dieselben Menschen, mit denen diejenigen klarkommen müssen, die Frieden wollen. Auf beiden Seiten gibt es mehr als genug Arschlöcher. Jeder Einzelne kann den Waffenstillstand im Alleingang brechen und die Auseinandersetzungen gehen weiter. Diese Leute müssen ausgemerzt werden, sonst gibt es keine
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