Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
in die Redaktionsräume, umklammerte die Umschläge und zog ihren engen Rock bis zu den Oberschenkeln hoch, damit sie die Treppe schneller hochkam.
V
In einer ruhigen Ecke fand sie Platz auf einem Tisch und öffnete den Briefumschlag, der zufällig oben lag.
Martin McBree war ein hohes Tier bei der IRA. Der Verlauf seiner Karriere war in Form eines zweiseitigen Porträts dokumentiert. Der Organisation war er bereits als Junge beigetreten und hatte seinen Treueeid drei Jahre vor Beginn der Unruhen im Norden geleistet, noch zu Zeiten, als man glaubte, die Abkürzung IRA stünde für »I ran away«. Anschließend gehörte er zu der Generation der nordirischen Republikaner, die mit Beginn der Unruhen die alte Garde ablösten und aus der IRA eine bedeutende paramilitärische Organisation machten.
Am zweiten Blutsonntag hatten britische Soldaten, ohne provoziert worden zu sein, das Feuer auf einen friedlichen Protestzug eröffnet und dreizehn unbewaffnete Zivilisten ermordet. McBree hatte an jenem Tag zu den Demonstranten gehört und ein Fotograf hatte ihn in einem so beeindruckenden Moment erwischt, dass Zeitungen auf der ganzen Welt sein Bild veröffentlicht hatten. Er hatte einen anderen Mann getragen, einen Arm unter seiner Schulter, den anderen unter die Knie gelegt und sich weit nach hinten gelehnt, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er war klein, nur ungefähr eins fünfundsiebzig, aber er war sehr muskulös und drahtig. Der Mann hatte eine offene Wunde in der Brust und war wahrscheinlich bereits tot. Er trug einen schwarzen Mantel und das Foto war schwarzweiß, aber das dicke schwarze Blut auf seiner Brust, das ihm den Arm herunterlief und von seiner leblosen Hand tropfte, war deutlich zu erkennen. McBrees helle Schuhe waren voller Blutspritzer. Es war ein gutes Bild, seine Berühmtheit aber hatte es einem Priester zu verdanken, der vor ihnen stand, ein weißes Taschentuch zum Zeichen der Kapitulation hochhielt und darum bat, an den Scharfschützen der Regierung vorbeigelassen zu werden.
Paddy las den dazugehörigen Text: Der Tote war Klempner gewesen. Er hinterließ vier Söhne und eine Tochter. Er war nur einunddreißig Jahre alt geworden.
Sie betrachtete das Bild genauer. McBree wirkte nicht ängstlich. Er biss die Zähne zusammen wegen des Gewichts, das er trug. Aber er war ein Mann, der Blut gewohnt war. Einer, der sich schwierigen Aufgaben stellte, ohne davor zurückzuschrecken.
Sie fand seinen Namen in einem Artikel über die erste Hungerstreikwelle: Viele Male war er aufgrund von Verstößen gegen das Schusswaffengesetz verurteilt worden und ein Jahr lang Gefangenensprecher im Maze Prison gewesen. Nach seiner Entlassung scheiterten die Gespräche.
In jüngerer Zeit war er verhaftet und wieder freigelassen worden, weil er mit einem gefälschten Pass gereist war. Er hatte sich auf dem Rückweg aus dem Libanon befunden. Sie überprüfte die Daten, zählte bis zu Petes Krankenhausaufenthalt zurück. Terry war zur selben Zeit in Beirut gewesen.
Spätere Artikel berichteten, McBree habe gestanden, ein Ausbildungslager im Libanon besucht zu haben, und die unbelegte Vermutung klang an, er habe Guerillakämpfer der PLO und der ETA im Nahkampf trainiert.
McBree wurde in New York gezeigt, eine flüchtige Aufnahme auf einem Flughafen. Genau wie Aoife gesagt hatte, war er mit dem Auftrag dorthin gereist, Noraid umzugestalten, vorgeblich zur Effizienzsteigerung, tatsächlich aber, um einer neuen Generation von Soldaten Auftrieb zu geben. Schonungslos entmachtete er die Fraktionen, die die Fortsetzung des bewaffneten Kampfs forderten, und stärkte jene, die Friedensverhandlungen befürworteten. McBrees Nahkampfausbildung muss ihm dabei sehr hilfreich gewesen sein, dachte Paddy. Seine Frau und seine beiden Kinder waren zu Hause in Irland geblieben, und eine Bombe war in der Nähe seines Hauses explodiert. Die Polizei vermutete interne Auseinandersetzungen innerhalb der republikanischen Bewegung.
Er war bei ihr zu Hause gewesen. Sie erinnerte sich an den stumpfen Brieföffner, dachte daran, dass sie ihn hatte erstechen wollen und wie viel Glück sie gehabt hatte. Leicht schwitzend lehnte sie sich zurück und sah, dass Buntys Schoßäffchen sie mit verschränkten Armen und spöttischem Gesichtsausdruck beobachtete.
Aus den Artikeln über Donaldson erfuhr sie nur wenig Interessantes: Er war als Teilnehmer einer Reihe von Pressekonferenzen abgebildet und sah auf den Fotos schlanker aus, nicht so
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