Der letzte Winter
halten.
Seine Mutter stand schon auf der Treppe, als hätte sie auf ihn gewartet. Der Rauch ihrer Marlboro ringelte sich in den Himmel und verpestete allen die Luft. Sie kam aus einem Land, in dem die Luft bereits verpestet war. Jetzt war sie hier.
»Erik!«
Er stieg die Treppe hinauf, sie kam die Treppe herunter, und sie umarmten sich. Es war der Tag vor Silvester. Sie wollten hier feiern, in diesem Haus in Hagen, die ganze Familie. Es war eine einzigartige Familie.
»Ich habe gerade an morgen gedacht«, sagte sie.
Winter zündete sich einen Corps an. Er hatte fast aufgehört zu rauchen, jedenfalls für dieses Jahr.
»Lotta hat schon den Fisch bei den Jungs im Fischschuppen am Käringberget bestellt«, fuhr sie fort. »Die haben wirklich was drauf.«
Er blies Rauch in den dämmernden Himmel, nickte.
»Aber nicht gerade billig. Dafür gut. Wie die Besten in Marbella. Erinnerst du dich an die Markthalle bei Benavente?«
»Na klar.«
»Deren Steinbutt ist unschlagbar!«
»Wart’s ab bis morgen«, sagte er.
»Es ist schön, wieder zu Hause zu sein«, sagte sie. »Manches ist ganz unverändert.«
»Ich habe einige Fragen an dich«, sagte er.
Sie drückte die Zigarette in einer kleinen, mit Sand gefüllten Kaffeedose aus. Manches war wirklich ganz unverändert.
»Mir ist kalt«, sagte sie.
Er legte den dünnen Zigarillo in die Dose.
»Lotta und die Mädchen sind unterwegs«, sagte sie. »Möchtest du Kaffee?«
»Nein, danke.«
Sie gingen hinein. Der Geruch in der Diele war unverändert, er würde immer dasselbe für Winter bedeuten. Und doch war es schon so lange her, wie in einem anderen Leben.
Die Dämmerung war tief ins Wohnzimmer vorgedrungen. Er sah die Spielhütte im Garten, die Bäume.
In ihrem Garten in der Pasaje José Cadalso hatte Siv Winter drei Palmen gehabt. Das Haus lag in einer Einbahnstraße, die von ebenerdigen und einstöckigen Familienhäusern gesäumt war. Alles war weiß und grün. Bougainvilleen hingen über die weißen Mauern. Zwischen Gittern leuchteten sorgfältig gewässerte Rasenflächen. Siv hatte einen Briefkasten für CARTAS, und auf der anderen Seite der Eisenpforte hing ein Schild, das vor dem PERRO warnte. Seine Mutter war einem Hund nie näher als zehn Meter gekommen, aber das Schild wirkte offenbar auf andalusische Einbrecher, die des Lesens kundig waren. Winter liebte die Palmen auf dem rechteckigen kleinen Rasen an der Rückseite des Hauses.
»Ich möchte dich nach ein paar Namen fragen«, sagte er.
Gerda Hoffner war so lange im Badewasser liegen geblieben, dass sie fast Schwimmhäute zwischen den Zehen hatte, als sie aus der Wanne stieg. Sie wickelte sich in das Badetuch und trocknete flüchtig ihre Füße ab, bevor sie das Bad verließ. Ihr gefiel es, Fußspuren zu hinterlassen. Ihre Mutter hatte deswegen immer mit ihr geschimpft. Der Fußboden könnte ja verfaulen!
Der Tag vor Silvester. Es war ein Heiligabend gewesen, der nicht in die Geschichte eingehen würde, weder in ihre eigene noch in die Geschichte der Welt oder der Polizeibehörde. Sie hatte auch an den beiden Tagen zwischen den Feiertagen gearbeitet, es war überwiegend ruhig gewesen. Ein riesiger Kater lag über der Stadt. Die Kinder kamen ein wenig zur Ruhe. Der Gedanke an sie war am schlimmsten. Daran gewöhnte man sich nie, auf so etwas konnte man sich nicht vorbereiten. Die Grübelei hinterher, jetzt, wo sie tatsächlich einen freien Silvesterabend vor sich hatte, der sehr festlich werden konnte. Das lag ganz allein in ihrer Hand. Sie konnte sich zwischen Fleisch oder Fisch, Weiß- oder Rotwein entscheiden oder einen Rosé wählen. Keine Kompromisse, auch wenn Rosé wie ein Kompromiss wirken mochte. Keine Nervosität, bevor die Gäste kamen. Keine Unschlüssigkeit, was man anziehen sollte. Keine täppische Küsserei beim Glockenschlag zwölf. Himmel, es ging ja nur um ein neues Jahr. Nicht einmal ein neues Jahrzehnt oder gar Jahrhundert. Das würde sie nicht noch einmal erleben, ein neues Jahrhundert. Sie hatte schon zwei erlebt, das konnte nicht jeder von sich behaupten.
Das Telefon klingelte. Ihre Haare waren noch nicht ganz trocken. Sie hob den Hörer des Telefons an der Küchenwand ab.
»Ja?«
»Hallo, Gerda. Wie geht’s dir?«
»Gut.«
»Was machst du?«
»Lege Patiencen.«
»Ha, ha. Was machst du morgen?«
»Ich weiß nicht. Was ist denn morgen für ein Tag?«
»Ha, ha. Hast du irgendwelche Pläne?«
Das Abendessen vorbereiten. Mich zwanzigmal umziehen. Einen Drink mit
Weitere Kostenlose Bücher