Der letzte Winter
meinem Mann nehmen. Einen weiteren Tag genießen, ein altes Jahr, ein neues Jahr. Das Feuerwerk vom Fenster aus anschauen. Eine Stadt im Licht.
»Ich habe mich noch nicht entschieden«, sagte sie.
»Komm her«, sagte er.
»Wohin? Zum Streifenwagen?«
»Ha, ha. Nee, die Weihnachtstage haben gereicht. Ich meine, zu mir nach Hause. Zu uns. Wir bekommen Besuch, und da hab ich an dich gedacht.«
»Das ist nett von dir, Johnny. Und von Sanna.«
»Ich weiß nicht, ob du andere Pläne hast. Vielleicht willst du ja einen Abstecher zu deiner Sippe in Deutschland machen.«
»Nach den Feiertagen.«
»Tja, wenn du also Lust hast …«
»Brauchst du sofort eine Antwort?«
»Nein. Es gibt ein Buffet, du brauchst dich also nicht wegen des Essens sofort zu entscheiden. Alkohol ist auch genügend vorhanden. Wein für die Schwachen. Wir werden um die fünfzehn Leute sein. Alle ganz okay. Keine Bullen.«
»Klingt gut.«
»Es kommt auch eine kleine Gruppe von der Heilsarmee, die wollen unser Extrazimmer mieten.«
»Ha, ha.«
»Denk drüber nach.«
»Über das Extrazimmer?«
»Darüber auch. Morgen gegen halb sieben, du brauchst nur zu klingeln. Den Code kennst du doch?«
»Kenne ich.«
»Komm einfach, wie du bist.«
»Im Augenblick trage ich nur ein Badetuch.«
»Hab ich gesagt, dass es eine Maskerade wird?«
»Ha, ha, ha.«
»Bis dann also.«
»Wirklich sehr nett von dir, Johnny. Soll ich etwas mitbringen?«
»Nein, nein, nur übersprudelnde, strahlend gute Laune«, sagte er, und dann war die Verbindung unterbrochen.
Sie blieb mit dem Hörer in der Hand stehen. Sie sah, wie sich die gute alte Straßenbahn den Sannabacken hinaufarbeitete. Der Himmel wurde schon rot im Westen. In den Fenstern der Häuser in Ekebäck brannte Licht. Und was jetzt? Ihr Körper war in der trockenen Wohnungsluft getrocknet. Sie brauchte kein Badelaken mehr und ging ins Schlafzimmer, zog sich an und dachte dabei an dies und das.
Erst als sie auf der Straße stand, wurde ihr klar, dass sie vorwiegend an das Zimmer gedacht hatte, in dem sie zum ersten Mal dem Tod begegnet war. Noch war es nicht dunkel. Sie brauchte so viel frische Luft wie möglich. Es war nicht gesund, zu lange im Auto zu sitzen, überhaupt viel zu sitzen. Das war nicht gut für den Körper. Jetzt hatte sie Rückenschmerzen. Vielleicht war es auch eine Verspannung. Sie sollte zur Massage gehen. Das war teuer. Sie konnte in Påvelund joggen, aber es war so schwer, den inneren Schweinehund zu überwinden. Sie konnte gehen, schnell und ohne Stöcke. Da war was mit Stöcken … mit denen konnte man nur im Dunkeln gehen, wenn man unter dreißig oder vierzig oder sogar unter fünfzig war. Sie befand sich in Höhe der Haltestelle Sannaplan, als die 11 kam, und stieg ein. Seltsamerweise war sie allein im Wagen. Kein Mensch war auf dem Weg in die Stadt. Am Mariaplan stiegen drei Jugendliche mit langen Futteralen zu, mit Stöcken und Skiern, auf dem Weg in die Berge. Woanders gab es Schnee, woanders war es Winter. Plötzlich sehnte sie sich nach richtigem Winter, zwei Meter hohem Schnee, dieser prickelnden Luft, die es nur im Norden gab. Manchmal legte sie sich auch über Göteborg wie kaltes Glas. Die Straßenbahn passierte Stigbergstorget, Masthugget, Järntorget. Bei der Hagakirche stieg sie aus.
Jetzt war es fast dunkel. Fast roch es nach Winter. Der Himmel war blauer denn je. Vielleicht kam das von der Inversionswetterlage. Keine Luft war hübscher als verschmutzte Luft. Aber es war nicht sonderlich kalt, die Temperaturen lagen noch über dem Gefrierpunkt. Sie war in östliche Richtung gegangen. Jetzt überquerte sie den Vasaplatsen. Der Obelisk zeigte wie ein Finger in den Himmel. In der Vasagatan waren ziemlich viele Menschen unterwegs, in beide Richtungen. Sie bewegte sich gern in der Menge, das gab ihr ein Gefühl der Geborgenheit. Leipzig konnte manchmal menschenleer sein, vor allem draußen bei der Laubenkolonie. Oder auf dem Augustusplatz. Der war so groß wie das Zentrum von Göteborg, aber er war immer verlassen und gesäumt von Gebäuden, die von bösen Menschen gebaut worden waren. In Städten, die vom Bösen gelenkt wurden, waren die Straßen verlassen. Jetzt bog sie nach rechts ab und wieder nach rechts. Sie ging eine leere Straße entlang. Nicht sie war abgebogen, sie konnte sich nicht erinnern, abgebogen zu sein. Sie erkannte ein Geschäft. In dem Haus gab es ein kleines Restaurant, dessen Name ihr entfallen war, außerdem eine kleine Werkstatt. Alles sah
Weitere Kostenlose Bücher