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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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würde er es unmittelbar erfahren. So etwas nannte man wertloses Wissen.
    Winter ließ den Film zurücklaufen, fing wieder von vorn an, machte eine Pause, und immer wieder von vorn. Jetzt konzentrierte er sich auf die Silhouetten hinter den Gardinen, die wie ein Filter wirkten. Es konnte alles Mögliche sein, eine andere Welt, die andere Seite des Meeres. Aber es war hier . Es war ganz nah und doch so fern. Der Mist, der auf der DVD gestanden hatte, bedeutete vielleicht etwas, häufig erwies sich so eine Vermutung jedoch als falsche Fährte. Der Schreiber wusste es vielleicht selber nicht. Ein Spin-off-Effekt des kranken Gehirns.
    Und auch wieder nicht. Es war hier, hier in dieser Stadt. Es war ein Zimmer wie alle anderen, ein Haus wie alle anderen. So nah, vielleicht in Vasastaden, oder nicht? Sollten sie an jeder Tür klingeln und bitten, einen Blick ins Schlafzimmer werfen zu dürfen? Einbrechen, falls die Leute nicht zu Hause waren? Falls sie sich in Thailand aufhielten? Kitzbühel? New York? Oder nur bewusstlos waren?
    Vor dem Fenster standen Gebäude. Ganz oben links zeichnete sich ein helles, wie auf den Kopf gestelltes Rechteck ab. Von dort fiel das Licht herein. Das war der Himmel, aber es war nicht zu erkennen, ob es Nacht oder Tag war. Der nächtliche Himmel über der Stadt war häufig in der Nacht genauso hell wie am Tag, und im Winter war er nachts heller. Es konnten die Lichter der Stadt sein, die er reflektiert sah, oder eine Straßenlaterne, die in der Nähe stand. Das Zimmer lag aller Wahrscheinlichkeit nach in einem oberen Stockwerk, dem vierten, vielleicht dem fünften. Dem dritten. Es gab keine Technik, mit der man die Gardinen auf dem Film beiseiteschieben konnte, um die Unregelmäßigkeiten des Lichtes und der Dunkelheit dahinter zu entschlüsseln. Aber sie konnten den Hintergrund heranzoomen.
    Er meinte, einen Schatten zu sehen, der sich bewegte.
    Der war ihm bisher nicht aufgefallen.
    Er ließ den Film zurücklaufen, drückte auf »Play«, wartete.
    Ein Schatten vor dem Fenster.
    Etwas bewegte sich, eine Sekunde lang vielleicht. Was zum Teufel war das?
    Er schaute sich die Sequenz noch einmal an.
    Als würde jemand mit der Hand am Fenster entlangstreichen. Eine große verdammte Hand.
    Etwas, das unten auf der Straße vorbeifuhr? Auto, Straßenbahn, Bus, Schiff?
    Etwas, das in der Luft vorbeiflog?
    Wann ist das? Wann geschieht das? Ich brauche eine Uhr. In Barkners Wohnung hören wir eine Uhr schlagen. Hier nichts. Gibt es eine Uhr in diesem Zimmer? Kann ich sie sehen? Legt es der Mensch hinter der Kamera darauf an, dass ich sie sehe?
    Winter spürte plötzlich einen Druck vom Nacken über den Hinterkopf bis in die Stirn. Hinunter zum rechten Auge. Nein, nein, das war wirklich der falsche Zeitpunkt für seine eingebildete Migräne.
    Plötzlich blitzte neben dem Fenster etwas auf. Dort stand eine Kommode, und auf der Kommode standen mehrere kleine Silhouetten, wie kleine Figuren in dem graugelben Pisslicht.
    Eine dieser Figuren blitzte auf. Als würde sich das, was dort stand, in der Kameralinse spiegeln. Oder kam das Aufblinken von einer Straßenlaterne vor dem Fenster?
    Wieder ein huschender Blitz, als die Kameralinse weiterglitt. Jetzt war die Kommode verschwunden. Winter sah einen Holzfußboden, der ebenfalls glänzte. Er ließ den Film zurücklaufen, vorwärtslaufen. Das Aufblitzen, vielleicht handelte es sich um einen kleinen Schrank oder einen Tisch. Zu viele wertlose Schatten. Er brauchte Vergrößerungen. Torsten Öbergs Leute waren unterwegs zu ihm. Es war irgendeine Art Metall. Vielleicht ein Pokal. Ein Preis. Ein Shaker. Ein Champagnerkübel. Eine Plakette. Ein Preis. Ein Pokal.
    Ein Name. Häufig standen Namen auf Pokalen.

28
    W inter parkte vor dem Haus, in dem er seine Kindheit verbracht hatte. Seine Schwester war schließlich darin hängengeblieben. Ihre Mutter war zurückgekehrt, und nun lebten sie zusammen. In Immobilienanzeigen wurden solche Häuser als Mehrgenerationenhaus angeboten. Drei Pensionäre kamen in strammem Marsch mit Nordic-Walking-Stöcken vorbei. Mit Hilfe der Stöcke näherten sie sich ihrem Grab. Er stieg aus dem Auto. Es roch nach Raffinerie und Äpfeln. In Hagen roch es immer nach Öl und Äpfeln.
    Diesen Besuch hatte er lange vor sich hergeschoben.
    Regel numero uno ( 1 ) im Handbuch des Kommissars der Fahndung: Beziehe die eigene Familie nie in eine Ermittlung ein. Winter hielt nicht viel von Regeln, aber es war sinnvoll, sich an diese Regel zu

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