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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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voller Angst, als wäre Winter aus seinen Alpträumen gestiegen und hätte ihn in die Wirklichkeit gerissen, nach der Wahrheit gegriffen. Ein grünes Monster, ein rosa Elefant, ein blauer Skorpion. Ein dunkelblonder Bulle. »Wo?!«
    »Auf … auf den Klippen.«
    »Wo Sie ihn umgebracht haben.«
    »Nein … nicht … wo ich ihn umge…«
    Rhodin verstummte.
    »Wo Sie ihn ertränkt haben«, sagte Winter. »Wo Sie ihn erdrosselt haben.«
    Jetzt starrte Rhodin ihn an, das Monster.
    »Nein, nicht ich …«
    »Was?«
    »Ich wusste ni… nichts.«
    »Nichts wovon?«
    »Ich wusste nichts«, wiederholte Rhodin. Sein Kopf fiel nach vorn. Aus seinen Mundwinkeln tropfte Speichel. Er sah aus, als müsse er sich übergeben.
    »Dort haben Sie die Schlüssel an sich genommen«, sagte Winter.
    Rhodin antwortete nicht. Sein Gesicht war jetzt weiß, fast grün.
    »Sie haben die Schlüssel aus seiner Tasche genommen«, sagte Winter und ließ ihn los.
    Halders und Aneta Djanali fuhren in die Marconigatan. Der Boden war immer noch mit einer Schneeschicht bedeckt. Die Häuser leuchteten orange in der Wintersonne.
    »Die Buden sind nicht gerade hübsch, aber die Farbe schon«, sagte Aneta Djanali.
    »Sie sind orange, egal, ob die Sonne scheint oder nicht«, sagte Halders.
    »Jetzt scheint sie offenbar immer.«
    »Wie im südlichen Kalifornien«, sagte Halders.
    »Bist du da schon mal gewesen, Fredrik?«
    »Hab ich das nicht erzählt?«
    »Nein.«
    »Ich bin dort gewesen. It never rains in Southern California .«
    Er parkte auf einem Parkplatz einige Meter von dem Hochhaus entfernt. Sie stiegen aus.
    »Dieser Mann ist also Zeuge«, sagte Aneta Djanali.
    »Er hat sie gesehen, kurz bevor sie verschwunden ist.«
    »Wo?«
    »Auf der Avenyn.«
    »Auf der Avenyn kann man die meisten sehen«, sagte Aneta Djanali. »Ob man will oder nicht. Ist dir das noch nie aufgefallen? Wenn du in der Stadt bist, landest du irgendwann unweigerlich auf der Avenyn.«
    »Diese Stadt ist so angelegt«, sagte Halders. »Es gibt nur einen einzigen richtigen Boulevard.«
    »Nicht mein Typ Boulevard.«
    »Was ist denn dein Typ von Boulevard?«
    »Ocean Drive«, antwortete sie.
    »Bist du auch schon mal in Los Angeles gewesen?! Santa Monica?«
    »Nein, aber im Kino. In jedem Hollywood-Film kommt eine Szene am Ocean Drive vor. Ich erkenne die Palmen.«
    »Was du alles weißt, Aneta.«
    Sie hatten das Haus erreicht. Nävers wohnten im siebten Stock. Halders drückte auf den Klingelknopf. Er wusste nichts über diese Familie, außer dass der Herr im Haus nicht mehr im Haus wohnte. Er klingelte noch einmal.
    »Hallo?«
    Es war eine helle Stimme.
    Halders stellte sich vor.
    »Wir möchten gern raufkommen«, sagte er. »Öffnest du bitte die Tür?«
    In der Gegensprechanlage knisterte es. Jetzt ertönte eine andere Stimme, auch diese hell.
    »Um was geht es? Wer ist da?«
    Halders stellte sich und Aneta noch einmal vor.
    »Was hat er nun wieder angestellt? Er wohnt nicht mehr hier.«
    »Nichts«, antwortete Halders. »Er hat nichts angestellt. Bitte öffnen Sie.«
    Im Türschloss klickte es. Die Tür sah aus, als wären andere Besucher zu ungeduldig gewesen, um das Klicken abzuwarten. Das Schloss hatte Kratzer, auf der Tür waren Spuren von Tritten. Aber das Fensterglas war noch heil.
    Das Liftinnere war nicht hübsch. Hollywood, dachte Halders, die Abteilung für Gewalt, aber in echt.
    Im Treppenhaus roch es nach Zwiebeln und Abfall. Halders hörte jemanden schreien, ein paar Stockwerke höher oder darunter. Vielleicht war es ein Fernseher. Im Furnier der Wohnungstür von Familie Näver war ein kleiner Spion. Er klingelte, und die Tür wurde sofort geöffnet. Die Frau hatte sie durch das Loch gesehen. Sicherheitshalber hatte Halders seinen Ausweis hochgehalten.
    »Dann kommen Sie mal rein.«
    Im Flur stellten sie sich noch einmal vor.
    »Gitte Näver«, sagte sie. »Nun kommen Sie schon rein.«
    Sie betraten ein helles Wohnzimmer, von dem man eine schöne Aussicht über den Askimsfjord hatte. Das Meer glänzte wie Eis. Er dachte an Grönland. Auf dem Flug nach Los Angeles war er über Grönland geflogen. Alles unter ihm war Eis gewesen, die Flüsse, Inseln, Land und Meer. Weiß und wunderbar blau. Als sie sich Kalifornien näherten, war die Erdkruste eine öde Wüstenei aus schwarzen Bergen geworden.
    Der Junge ließ sich nicht blicken.
    »Um was geht es?«, fragte seine Mutter.
    »Wir müssen Ihren Mann sprechen«, sagte Halders.
    »Was hat er getan?«
    »Nichts.

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