Der letzte Winter
woanders. Er folgte ihrer Fahrt in einem Streifenwagen durch den Heiligen Abend. Dass sie Tommy Näver zur Heilsarmee gebracht hatten, stand nicht in dem Bericht. Es war nur ein Service gewesen, der nicht notiert worden war. Er las von einer Jagd über Heden nach einem verdächtigen Autodieb.
Dort stieß er auf einen Namen, den er kannte.
Hans Rhodin.
Viel stand nicht über ihn da. Aber er war da. Auf dieselbe Art, wie er hier gewesen war vor gar nicht so langer Zeit, in Winters Büro. Rhodin hatte Winters und Ringmars Fragen nach Anders Dahlquist beantwortet. Rhodin war aus der Ermittlung gestrichen worden.
»Warum haben Sie so lange gewartet, bis Sie sich bei uns gemeldet haben?«
»Ich … war krank.«
»Lesen Sie keine Zeitungen?«
»Diesmal nicht.«
»Was hat Sie veranlasst, sich jetzt zu melden?«
»Als es mir besserging, habe ich was gelesen, vielleicht in der Zeitung? Irgendein Artikel oder eine Notiz. Ich dachte, es könnte sich um Anders handeln.«
Winter ging zum Archivschrank, dem guten alten Stück. Er wollte alles auf Papier vor sich haben, was zwar nicht besonders umweltfreundlich, aber unverzichtbar war für den, der Berichte lesen wollte, ohne einen Buchstaben zu übersehen, womöglich ganze Wörter oder gar Sätze. Vielleicht sogar den Sinn des Ganzen nicht zu erfassen. Er suchte den Ausdruck des Verhörs mit Rhodin heraus. Winter erinnerte sich, dass ein Versprechen von Schnee in der Luft gehangen hatte.
Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück und setzte sich, stand aber noch einmal auf, um das Fenster zu öffnen. Die Luft war frisch und roch nach Winter. Dann setzte er sich und las den Bericht: die knappen Sätze, die die Ereignisse auf Heden wiedergaben.
Hans Rhodin war einer anderen Person nachgelaufen. Hatte sie gejagt. Der Streifenwagen war aufgetaucht. Rhodin hatte behauptet, der Mann hätte versucht, sein Auto zu stehlen. Der Dieb hätte versucht, es aufzubrechen. Es war unklar, ob er es wirklich versucht hatte. Der Verdächtige war entkommen. Gerda und ihr Kollege hatten das Auto kontrolliert und keine Schäden festgestellt. Hatte Rhodin sein Auto aufschließen dürfen? Das stand nicht in dem Bericht.
Winter widmete sich wieder dem Verhör mit Rhodin.
»Wir haben bei Jungman Jansson gegessen, am Anleger von Önnered.«
»Wann haben Sie sich getrennt?«
»Wohl so gegen drei.«
»Was geschah dann?«
»Wie meinen Sie das?«
»Was haben Sie danach gemacht?«
»Was Anders gemacht hat, weiß ich nicht. Ich bin nach Hause gefahren.«
»Wie? Wie sind Sie nach Hause gefahren?«
»Ich habe ein Taxi genommen.«
»Warum?«
»Warum ich ein Taxi genommen habe? Ich bin nicht mit dem Auto gekommen, wir haben ein wenig getrunken. Und ich fahre sowieso nicht Auto. Ich besitze gar keins.«
Lieber zu viel fragen als zu wenig, dachte Winter. Man weiß ja nie. Die Fragen und Antworten holen uns ein, manchmal innerhalb kurzer Zeit. Hans Rhodin fuhr nicht Auto und besaß kein Auto, aber am Heiligen Abend jagte er dem Dieb seines Autos über Heden nach. Auf zur Smålandsgatan, dachte Winter und erhob sich. Er war erregt, der alte Jagdinstinkt. Der Fahnder in ihm. Ein Hauch von Kälte auf der Kopfhaut.
Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte.
»Ja?«
»Hier ist Fredrik. Ich habe den Jungen lokalisiert. Die Heilsarmee hat mir geholfen. Er wohnt mit seiner Mutter in Frölunda. Marconigatan.«
»Gut. Hast du angerufen?«
»Nein. Ich wusste nicht, ob du nicht selber rausfahren oder mitkommen willst.«
»Ich hab noch etwas zu erledigen. Einen Besuch auf Heden. Fahr du nach Frölunda.«
»Okay. Vielleicht ist der Vater bei ihnen. Man kann ja nicht wissen. Am Telefon meldet sich niemand.«
»Lass ihn dir nicht durch die Lappen gehen.«
»Was zum Teufel denkst du von mir?«
»Entschuldige, Fredrik. Ich fahre jetzt los.«
»Um was geht es?«
»Nur eine Überprüfung.«
»Mach keine Dummheiten.«
»Wann habe ich je Dummheiten gemacht?«
»Das ist noch gar nicht so lange her. Da bist du allein auf eine Insel gefahren.«
»Hier handelt es sich nur um einen Stadtbesuch.«
»Wo?«
»Smålandsgatan.«
»Bei wem?«
»Bist du mein Vormund, Fredrik?«
»Manchmal habe ich tatsächlich das Gefühl, du brauchtest einen Vormund, Erik.«
»Diesmal ist das nicht nötig.«
»Okay, okay. Wer ist es? Wie heißt die Person?«
»Hans Rhodin.«
»Also gut. Bis dann.«
Winter legte auf und schon war er unterwegs, ohne Schutz. Die Smålandsgatan konnte er zu Fuß erreichen.
42
D raußen
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