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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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widerwärtigen Farbe, abstoßend. Diese Nacht war kälter als beim letzten Mal. Beim letzten Mal. Das klang nach Routine. Als würde es ständig passieren. Das Haus in der Chalmersgatan war nicht von Raureif überzogen gewesen. Es war eine Parallelstraße, nur einen Häuserblock von hier entfernt. Wie häufig tritt der Tod in dieser Form in diesem Viertel ein? Aber sie wusste ja gar nicht, wie er in diesem Fall eingetreten war. Der Tod. Ob er genauso still aussah wie beim letzten Mal. Das letzte Mal. Herrgott. Das Gesicht würde sie nie vergessen. Das kalte Gesicht, das weiße Gesicht. Es war von einer Kälte gewesen, die von einem weit entfernten Ort kam, zu dem auch sie irgendwann in der Zukunft reisen würde.
    Alexander wartete hinter ihr. Hier musste sie das Kommando übernehmen, sonst würden sie nie ins Haus gelangen. Die Ziffernkombination hatten sie direkt von der Leitzentrale bekommen.
    »Der Junge in der Wohnung ist total durcheinander«, hatte der Diensthabende gesagt. »Seid vorsichtig.«
    »Was hat er getan?«
    »Die Frau ist offenbar tot. Seine Lebensgefährtin. Ich weiß nicht, was passiert ist. Er konnte es nicht sagen. Er sagte, er weiß es nicht.«
    Jetzt schob sie die Tür auf.
    Im Treppenhaus roch es nach Schnee. Ja, nach Schnee. Als wäre hier der Winter eingezogen. Sie fühlte sich plötzlich verlassen und ganz allein mit dem Winter im Treppenhaus.
    »Der dritte Stock also«, sagte Alexander. Er wartete, dass sie die Treppe hinaufging. Er würde nicht vorangehen. Und sie würden nicht den Fahrstuhl nehmen. Es war der gleiche Typ Fahrstuhl wie in der Chalmersgatan, ein alter treuer Diener, der aussah, als wäre er hundert Jahre alt. Was er sicher auch war. Die alten Fahrstühle in den alten Häusern waren hübsch, sie alterten in Schönheit, sie glänzten, je älter sie wurden, und sie schienen ein ewiges Leben zu haben.
    Die Wohnungstür im dritten Stock stand einen Spaltbreit offen. Dahinter war eine weitere Tür, die jedoch geschlossen war. Vielleicht stand in diesem Moment jemand dahinter und lauschte. Vielleicht wurden später Verhöre mit eventuellen Zeugen nötig, mit Nachbarn. Jemand könnte etwas gesehen oder gehört haben. Aber sie wusste, dass die meisten niemals etwas sahen oder hörten. Es war natürlich Angst. Etwas hatte sie als Polizistin sehr schnell gelernt, dass viele Menschen große Angst hatten. Manchmal hatte sie das Gefühl, in einem Land voller ängstlicher Menschen zu arbeiten. Alle hatten Angst, alle bekamen Angst.
    »Hat er sie für uns geöffnet?« Alexander sah auf die Tür und den schwarzen Türspalt.
    »Beim letzten Mal war es genauso«, sagte Gerda Hoffner.
    »Beim letzten Mal?«
    »Ich war dabei, als die Frau in der Chalmersgatan gefunden wurde. Vergangenen Samstag.«
    »Du warst dabei?«
    »Ja.«
    »Wie war es?«
    »Entsetzlich. Jetzt müssen wir da reingehen«, sagte sie.
    Er nickte. Sie sah die Pistole in seiner Hand. Sie spürte die Pistole in ihrer eigenen Hand. In der Wohnung war es still, totenstill. Dort drinnen wartete ein Mann auf sie. Habe ich Angst? Ja.
    Sie überschritt die Schwelle.
    »Polizei!«, rief sie. »Wir sind jetzt da. Polizei.«
    Keine Antwort. Hinter sich hörte sie Alexander atmen. Es klang wie ein Zischen.
    »Sollen wir die Tür schließen?«, fragte er leise.
    »Auf keinen Fall.«
    Sie machte einen Schritt in den Flur. Er war dunkel, aber aus einem Zimmer am hinteren Ende fiel Licht. So war es immer, aus einem Zimmer am hinteren Ende des Korridors fiel Licht. Niemand wollte in das Licht treten.
    Sie bewegten sich vorwärts.
    Wieder hörte sie Alexanders rasselnde Atemzüge. Vielleicht hatte er Asthma. Bei Stress wurde Asthma schlimmer, alles wurde schlimmer bei Stress. Es war gesünder, sich keinem Stress auszusetzen.
    »Polizei!«, rief er. »Polizei!«
    Sie kamen an der Küchentür vorbei. Gerda Hoffner warf einen Blick hinein, aber nur kurz. Sie wollte sich ganz auf das Zimmer konzentrieren, in dem Licht brannte. Jetzt war es nicht mehr rot, nur von der Straße aus hatte es rot gewirkt. Sie sah den Schimmer eines roten Vorhangs vor sich, wie einen roten Schatten. Es war wie im Film. Sie hatte registriert, dass die Küche modern eingerichtet war, genau wie die Küche in der Chalmersgatan, glänzende Flächen, Stahl, Holz, Ziegel. Die neue Küche in dem alten Haus. Auch hier brannte Licht, ein einziges, einsames spotlight an der Decke, ein dünnes Licht, das auf eine Weinflasche fiel, die mit einem Glas daneben auf einer Arbeitsplatte

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