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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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daran gewöhnt. Alle Gesichter waren blass, auch die der Unschuldigen. Lentner war auf einem Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches zusammengesunken. Das Gesicht des Mannes war … leer, ausdruckslos. Bis jetzt hatte er geschwiegen. Edlund hatte sich vorgestellt, jedoch noch keine Frage formuliert.
    Lentner war erst seit einer halben Stunde ihr Gast.
    Edlund dachte an den anderen, Martin Barkner.
    Fast ein Nachbar von Erik Lentner.
    Vasastan war kein gefährliches Pflaster. Wann zuletzt hatten sie dort in einem Mordfall ermittelt? Es musste der Doppelmord Ende 1999 gewesen sein. Damals war Edlund Streifenpolizist gewesen. Erik Winter vom Fahndungsdezernat hatte das Ermittlungsverfahren geleitet. Er war gewissermaßen ein Nachbar vom Tatort gewesen, an dem die schrecklichen Morde begangen worden waren.
    Erik Lentner war Arzt. Im Augenblick jedoch nicht, und vielleicht würde er den Beruf nie wieder ausüben. Die Frage lautete wie gewöhnlich, warum er es getan hatte. Bis zu dieser übergreifenden Frage hatte Edlund noch einen weiten Weg vor sich. Lentner hatte nicht viel gesagt, und schon gar nicht, dass er es getan hatte. Als er wach geworden war, hatte er gesehen, was passiert war. Während es passiert war, hatte er geschlafen, hatte alles verschlafen. Und war in einem Alptraum erwacht. Hatte versucht, sie aus dem Alptraum zu retten. Er war so erregt gewesen, dass er sich den Körper zerkratzt hatte. Von ihm stammte das Blut. Es war sein Blut. Gloria. Sie hieß Gloria Carlix. Der Nachname klang wie der Name einer Tankstelle.
    Erik Lentner schaute auf.
    Er wirkte jetzt ruhig, als wäre er bereit. Das würde alles vereinfachen, konnte jedoch auch bedeuten, dass es sich noch länger hinziehen würde. Manchmal Tage, Wochen. Ein ruhiger, konzentrierter Schuldiger, der beschlossen hatte, unschuldig zu sein, war schwer zu überführen, sein Widerstand nicht leicht zu brechen. Aber Edlund war sicher, dass er Lentner schließlich knacken würde. Früher oder später brachen alle zusammen.
    »Was wollen Sie von mir hören?«, fragte Lentner.
    »Was möchten Sie mir selber sagen?«
    »Natürlich, dass ich es nicht getan habe.«
    »Dann sagen Sie es.«
    »Was?«
    »Sagen Sie es, falls es Ihnen dann besser geht.«
    »Ist dies eine Art moderner Verhörmethode?«
    »Es ist die alte übliche Methode«, antwortete Edlund.
    »Worauf läuft sie hinaus?«
    »Auf das Übliche.«
    »Und was ist das Übliche?«
    »Die Wahrheit. Es läuft auf die Wahrheit hinaus.«
    »Ich sage die Wahrheit. Warum sollte ich lügen?«
    »Erzählen Sie von gestern Abend«, sagte Edlund.
    »Was soll ich erzählen?«
    »Ab neun Uhr. Erzählen Sie von neun Uhr an.«
    »Warum ausgerechnet von neun?«
    Edlund nickte, ohne zu antworten. Jetzt hatte die zu verhörende Person genügend Fragen gestellt.
    Lentner betrachtete Edlund mit einem Ausdruck, als traue er der Intelligenz des Verhörleiters nicht. Das kannte Edlund. Verdächtige aus einer höheren Gesellschaftsschicht ließen in Situationen wie dieser manchmal ihre Überlegenheit durchblicken, vielleicht war es eine angeborene Überlegenheit. Die reichen Soziopathen aus diesen Schichten kombinierten Selbstsicherheit mit dem Glauben an die eigene Unschuld. Diese Haltung hatte manchmal lange Sitzungen zur Folge, die irgendwann abgebrochen werden mussten. Dann konnten nur noch die weiß bemäntelten Trupps aus der Klinik übernehmen. Aber Lentner sah nicht verrückt aus. Überlegen vielleicht, aber nicht verrückt. Er sah aus, als zweifelte er an Edlunds Fähigkeit, seine Unschuld herauszufiltern. Auch das hatte Edlund schon erlebt. Die Forderung nach einem anderen Verhörleiter. Der hier glaubt mir nicht. Ich will jemanden haben, der mir glaubt, dann kann ich gehen. Jemand, der begreift, dass ich unschuldig bin.
    »Okay, von neun Uhr an«, sagte Lentner in einem Tonfall, als wollte er andeuten, da müssen wir wohl durch, obwohl ich nicht kapiere, warum. »Wir haben die Nachrichten im Fernsehen gesehen. Ich jedenfalls. Jedenfalls den ersten Teil.«
    Edlund fragte nicht, wovon die Nachrichten gehandelt hatten. Selbst hatte er sie nicht gesehen. Er glaubte Lentner, dass er sie gesehen hatte.
    »Der Nahe Osten«, sagte Lentner. »Es ging um den Nahen Osten.«
    Edlund nickte.
    »Gaza-Streifen.« Lentner beugte sich vor. »Es geht immer um Gaza, oder? Palästina. Sobald man die Nachrichten einschaltet, geht es um Palästina.«
    Morgen handeln sie vielleicht von dir, dachte Edlund. Womöglich ist der Mann doch

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