Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
Vom Netzwerk:
fragte sie.
    »Ja.«
    »Manchmal wird ein bisschen zu viel gefeiert, oder?«
    »Leider.«
    Er dachte an eine andere Silvesternacht. Daran dachte Angela vielleicht auch manchmal. Es ließ sich nicht vermeiden. Er hoffte, sie würde nicht daran denken. Aber nicht daran zu denken wäre unmenschlich. Es war in den ersten Stunden des neuen Jahrtausends gewesen. Er hatte in einer Wohnung in Bifrost gestanden. Auf dem Sofa hatte ein Paar gesessen. Ein Mann und eine Frau. Mit ihren Köpfen stimmte etwas nicht. Dann war Angela gekidnappt worden. Sie war schwanger gewesen. Herrgott, was für ein Leben. Was für ein Job. Er schnupperte wieder an dem Whisky und nahm einen kleinen Schluck. Sechsundvierzigprozentiger Cask, sämig wie Olivenöl, etwas mehr Sherry als in anderen Vintage, die er früher gekostet hatte, aber natürlich noch immer Weltklasse. Der Nachgeschmack war intensiv und salzig, er hielt ihn in der wirklichen Wirklichkeit fest, der kleinen, nicht in der, an die er vor einigen Sekunden gedacht hatte. Ihre Köpfe. Noch lange danach hatte er an ihre Köpfe gedacht. Sie waren in seinen Träumen erschienen. So wie Bergenhem in den Träumen erschien, die er jetzt träumte.

5
    D er Notruf war um genau 04 : 59 : 16  Uhr eingegangen.
    Der Streifenwagen fuhr in östlicher Richtung durch die Dezembernacht. Es waren noch einige Stunden bis zum Morgen und dem Licht. Draußen war es kalt. Schon gestern Abend war die Temperatur unter null gefallen.
    Gerda Hoffner sah den Raureif auf den Autos, an denen sie vorbeikamen. Der Winter war wieder da, hallo mein Winterland. Raus mit den Kerzen, Pelzhandschuhen und Hockeyschlägern, her mit dem Glühwein. Nicht dass sie jemals in ihrem Leben einen Hockeyschläger gehalten hätte, aber sie war bei einem Eishockeyspiel gewesen, in Berlin, mit Onkel Joachim. Die Eisbären Berlin . Nicht nur in den Straßen von Schweden liefen Eisbären herum, sie glitten auch in Berlin über das Eis. Soweit sie sich erinnerte, hatte die Mannschaft gewonnen. Auf den Tribünen hatte es nach Bier gerochen. Einige Monate später hatte sie wieder etwas über eine deutsche Hockeymannschaft gelesen, die in einem Trainingslager oder so etwas Ähnlichem in Schweden gewesen war, wahrscheinlich in Schonen. Die halbe Mannschaft war wegen Vergewaltigung angeklagt worden oder wegen sexueller Belästigung, oder beidem. Die Sache war unter den Teppich gekehrt worden und die Mannschaft schnell über die Ostsee verschwunden, um nie mehr wiederzukommen.
    Vasastan war noch nicht erwacht. Sie fuhren am Vasaplatsen vorbei. Die Leuchtreklame über der Würstchenbude leuchtete hell und klar, als würde die neue Kälte den Lichteffekt verstärken.
    Gerda Hoffner war auf dem Weg zu dem zweiten Toten ihrer Laufbahn.
    Die Zentrale hatte sie zur Götabergsgatan dirigiert. Da war sie. Gerda Hoffner kontrollierte die Hausnummern zusammen mit ihrem Kollegen. Alexander war ein Grünschnabel wie sie, Alexander Hedberg, sogar noch jünger. Häufig war bei einem Notruf dieser Art ein erfahrener Polizist vom Außendienst dabei. Diesmal war es nicht der Fall. Alexander hatte noch nie einen Mordtatort gesehen. Wenn es denn ein Mord war. Sie wussten nur, dass ein aufgeregter Mann angerufen und mitgeteilt hatte, dass seine Lebensgefährtin tot sei.
    Sie hatten sich mit ihrem Streifenwagen in der Nähe befunden. Es war unheimlich. Das zweite Mal innerhalb weniger Tage. Es hätte jeden anderen treffen können, aber sie war in der Nähe gewesen. Solange sie im Stadtzentrum arbeitete, konnte es sie wieder treffen. Es kann sich wiederholen, dachte sie.
    »Hier«, sagte Hedberg. Er saß am Steuer. Sie hatten gerade den Platz gewechselt. Sie schaute an der Fassade hinauf. Konnte kein erleuchtetes Fenster entdecken, beugte sich weiter vor. Ihr Nacken schmerzte. Da oben war Licht, das sah sie, ein schwaches Licht, wie hinter einem schweren Vorhang. Das Licht schimmerte rötlich, der Vorhang musste rot sein. Wer hatte heutzutage noch rote Vorhänge?
    »Im dritten Stock brennt Licht«, sagte sie.
    »Ja.«
    »Soll es im dritten Stock sein?«
    »Ja.«
    »Dann also rauf.«
    »Klingt ja geradezu enthusiastisch«, sagte er.
    »Ist doch egal, wie ich klinge«, sagte sie und stieg aus. Sie hörte, wie Alexander auf seiner Seite ausstieg, langsam, als hoffte er, dass ein anderer Kollege vorbeikäme und vor ihnen hinaufgehen würde. Sie schaute wieder an der Fassade empor, die vom Frost wie mit einer Schicht Farbe bedeckt zu sein schien, einer grauen

Weitere Kostenlose Bücher