Der letzte Winter
stand. Das Licht strich durch die Flasche.
»Stehen bleiben!«
Das war Alexanders Stimme. Sie schaute wieder nach vorn. Es gab einen weiteren Schatten in der Türöffnung. Das rote Licht glitt wie dünner Rauch hinter dem Schatten hervor.
»Stehen bleiben!«, rief Alexander wieder.
Gerda Hoffner stand schussbereit da.
»Nicht schießen!«, rief der Schatten.
»Bleiben Sie stehen!«
Die Gestalt bewegte sich, eine schwarze Silhouette, die plötzlich riesengroß wirkte.
»Bleiben Sie stehen!«
»Ich war es nicht! Ich war es nicht!«
»Verdammt, bleiben Sie stehen.«
Die Gestalt blieb stehen.
Jetzt war sie verschwunden!
Gerda Hoffner spürte, dass sie sich vorwärts bewegte, und zwar schnell. Es war noch immer wie ein Film, sie war Zuschauerin und Alexander ihr Zuschauer. Sie hatte ein unheimliches Gefühl im Magen, als müsste sie sich jeden Moment übergeben. Das war die Anspannung, die Angst, der Stress. Noch nie hatte sie es so stark wie in diesem Augenblick empfunden. Jetzt waren sie im Zimmer, sie wusste nicht, wie sie es betreten hatten oder wann. Noch hatte sie nichts im Raum wahrgenommen. Sie bewegte sich instinktiv, während das Adrenalin durch ihren Körper pumpte. Im Augenblick sah sie nichts, dann nur den Vorhang und dann etwas Weißes, vielleicht ein Bett, mehr Weiß, viel Weiß und dann etwas Rotes, und dieses Rot hatte auf dem Weiß dieselbe Nuance wie der Vorhang hinter dem Bett.
»Herrgo…«, hörte sie Alexanders Stimme.
»Ich war es nicht. Ich war es nicht!«
Die Stimme kam von irgendwoher, aber sie wusste nicht woher. Stand der Kerl hinter dem Vorhang?
»Ich war es nicht!«
Sie drehte sich nach der Stimme um. Dort stand er, rechts von der Tür in der Ecke, hinter einem Schreibtisch, als hatte er auf diesem Weg fliehen wollen.
Er war keine Silhouette mehr. Sie sah einen Mann in den Dreißigern, jünger, älter. Er war nackt. Noch ein Nackter. Es schien ihm nicht bewusst zu sein. Er zitterte wie in hohem Fieber. Seine Haare waren nass, als käme er vom Schwimmen. An seinem Körper war Blut. Es hatte dieselbe Farbe wie das Rot auf dem Weiß. Jetzt schaute sie zu dem Weiß. Und dem Rot. Sie sah das Gesicht, das auf einem Kissen ruhte. Es regte sich nicht. Es war eine Frau. Dunkles Haar, nass wie das des Mannes. Die Augen waren geschlossen. Gerda Hoffner dachte an die Frau in der Chalmersgatan. Ihre geschlossenen Augen, als würde sie schlafen. Auch diese Frau sah aus, als schliefe sie. Der nackte Mann in der Ecke sagte wieder etwas, aber sie hörte es nicht. Alexander sagte etwas. Auch das hörte sie nicht. Sie machte einen Schritt auf das Bett zu, sie wollte nicht hinschauen, doch sie musste ja. Über dieser Szene lag die gleiche Ruhe wie in der Chalmersgatan, aber etwas war anders, es war eine Stille, die gleichzeitig wie besessen schrie, als würde jemand in diesem entsetzlichen Zimmer aus vollem Halse brüllen. Sie berührte den Hals der Frau. Er war kalt wie der Winter. Der Winter war der Tod, alles starb im Winter. Das dachte sie in diesem Moment. Sie konnte keine Verletzungen am Körper der Frau entdecken. Auf dem Laken waren rote Flecken.
Der Mann in der Ecke hatte sich bewegt. Plötzlich stand er neben dem Bett.
»Stehen bleiben!«, schrie sie.
Er zeigte auf die Frau. An seiner Schulter hüpften die Muskeln, was aussah wie ein nervöses Zucken, das er nicht beherrschen konnte. Er wirkte ziemlich kräftig, doch in diesem Augenblick war er schwach.
Er hat Todesangst, dachte sie. Todesangst wegen dem, was er getan hat.
»Ich habe geschlafen!«, sagte er.
»Bleiben Sie stehen!«
»Ich bin aufgewacht! Und da sah ich … ich sah …« Ihm versagte die Stimme, und er begann, am ganzen Körper zu zittern. Er verstummte, als hätte jemand den Strom abgeschaltet. Als wäre er elektrisch, dachte sie.
»Ich habe ni… nichts getan«, sagte er.
Niemand hat jemals etwas getan, dachte Gerda Hoffner und ließ den Blick über das Bett, die Nachttische und die Wände gleiten. Sie werden auf frischer Tat ertappt, aber sie haben nie etwas getan. Es war immer ein anderer, selbst wenn es keinen anderen gab. Hier gab es nur ihn und sie, und sie lebte nicht mehr. Genau wie in dem anderen Zimmer. Hat der Mann aus dem anderen Zimmer übrigens inzwischen gestanden? Nein, das hat er nicht, soviel ich weiß. Was gibt es, was nicht zu gestehen ist?
Jetzt hörte sie den Mann schluchzen. Er trauerte.
Er hieß Erik Lentner. Sein Gesicht war sehr blass in dem harten Licht. Sverker Edlund war
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