Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
Vom Netzwerk:
Niemand sonst hat das Entsetzliche zweimal gesehen. Ich habe es weitergegeben. Aber niemand hat sich darum gekümmert. Niemand hört zu. Es gibt nichts anzuhören. Hätte es etwas gegeben, hätten sie zugehört. Von sich hören lassen.
    Sie ging in die Küche. Blieb vor der Spüle stehen. Hatte vergessen, was sie dort wollte. Sah wieder die weißen Hüllen. Zum Küchenfenster floss Sonnenlicht herein, als wollte es sie nirgends in Ruhe lassen, ganz gleich, wo in der Wohnung sie sich aufhielt. Der Tag würde wieder unbegreiflich schön werden. Es war besser zu arbeiten, als in der Wohnung zu hocken. Erneut sah sie die Hüllen vor ihrem inneren Auge, die Laken, die Frauen. Die Männer, die wirkten, als wären sie just in diesem Moment in dem Entsetzlichen angekommen. In ihren Gesichtern war etwas gewesen. Die Männer hatten ausgesehen wie sie. Sie war ein Spiegel gewesen, sie waren Spiegel gewesen. Sie waren unschuldig. Scheiße, dachte sie, ging in den Flur und hob den Telefonhörer ab.
    Sie war ihm einige Male im Korridor begegnet. Vielleicht gelegentlich auch vor dem Fahrstuhl. Er schien es immer eilig zu haben. Nie »zog er die Beine nach«. Was für ein merkwürdiger schwedischer Ausdruck. Wie funktionierte das, wenn man die Beine hinter sich herzog? Dann musste man wohl auf dem Boden sitzen, wenn man nicht noch ein weiteres Paar Beine hatte.
    Über ihn kursierten Gerüchte, dass er ein bisschen smarter war als andere. Und jünger als alle anderen. Inzwischen gab es jüngere Kommissare, auch wenn er noch keine fünfzig war. Wie fünfzig sah er nicht aus. Aber heutzutage sahen nur wenige Fünfzigjährige wie Fünfzigjährige aus, Politiker natürlich ausgenommen. Die sahen aus wie fünfzig, obwohl sie erst dreißig waren. Sie war jedes Mal erstaunt, wenn sie erfuhr, wie jung ein Politiker war, den sie im Fernsehen oder in der Zeitung gesehen hatte. Der Job schien stärker zu verschleißen als der Polizistenjob. Vielleicht hält uns das Körpertraining jung.
    Sie klopfte an den Türrahmen. Die Tür stand offen. Er saß über den Schreibtisch gebeugt und las. Er schaute auf.
    »Hallo«, sagte sie.
    »Gerda Hoffner?«, fragte Winter.
    »Ja.«
    »Kommen Sie herein und machen Sie die Tür zu.«
    Sie trat ein und schloss die Tür hinter sich.
    »Bitte, nehmen Sie Platz.« Er zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
    Sie setzte sich.
    »Erzählen Sie«, sagte er.
    Nach dem Telefongespräch mit ihm am Vormittag hatte sie sich ganz elend gefühlt. Sie hatte herumgestottert und bildete sich ein, sie würde das Ermittlungsdezernat hintergehen. Mit denen hatte sie ja gesprochen. Mit Mogens. Das sagte sie Winter. Es ist mir unangenehm, hatte sie gesagt und es im selben Moment bereut, als Winter sich meldete. Kommen Sie zu mir, hatte er sie nach wenigen Minuten aufgefordert.
    Und jetzt berichtete sie.
    »Nur Sie sind an beiden Tatorten gewesen?«, fragte er.
    »Ja, das habe ich hinterher überprüft.«
    Er nickte.
    »Es ist ein komisches Gefühl«, sagte sie.
    »Was?«
    »Hier zu sitzen, davon zu sprechen.«
    »Trotzdem haben Sie mich angerufen. Und sind gekommen.«
    »Ja.«
    »Sie haben lange darüber nachgedacht.«
    »Ja. Es hat mich einfach nicht losgelassen.«
    »Haben Sie den Verdacht, dass es sich um eine Beziehungstat handelt?«
    »Eigentlich habe ich überhaupt keinen Verdacht. Mir gingen diese Wohnungen einfach nicht aus dem Kopf.«
    Winter warf einen Blick auf seine Notizen.
    Er macht sich Notizen, hatte sie während ihres Berichts gedacht.
    »Wenn ich es richtig verstehe, könnte nach den Morden jemand aufgeräumt haben«, sagte er und sah auf. »Das glauben Sie, oder?«
    »Es könnte sein …«
    Er schaute wieder auf den Block, überflog die wenigen Zeilen.
    »Verglichen mit dem Eindruck, den Sie allgemein von den Wohnungen hatten, erschienen Ihnen die Bücher auf den Nachttischen etwas zu ordentlich gestapelt. Und jemand könnte die Gemälde an den Wänden gerichtet haben.«
    Er sah sie an.
    »Ja.«
    »Okay.«
    »Das klingt ein wenig … dürftig, oder?«
    »Finde ich nicht. Bei diesem Job ist nichts dürftig. Nur der Tod, wenn man ihm begegnet. Der ist jämmerlich.«
    »Ja«, sagte sie. »Genauso habe ich es empfunden, als ich dort war. Als ich … ihn gesehen habe.«
    »Sie haben auch die Weinflaschen gesehen.«
    »Ja. In der Küche. Daneben ein Glas. In beiden Küchen.«
    »Hatte jemand von dem Wein getrunken?«
    »Das weiß ich nicht. Ich bin ja sehr schnell daran vorbeigegangen und habe alles nur

Weitere Kostenlose Bücher