Der letzte Winter
flüchtig wahrgenommen.«
Winter nickte wieder.
»Mehr weiß ich nicht«, sagte sie.
»Glauben Sie, dass die Männer unschuldig sind?«, fragte Winter. Es war eine direkte Frage. Er schien es ernst zu meinen. Schien sie ernst zu nehmen.
»Ja«, antwortete sie.
»Weinflaschen? Nein, wir haben keine Weinflaschen mit ins Labor genommen. Hätten wir das tun sollen, Erik?«
»Ich weiß es nicht, Torsten.«
Winter befand sich im Dezernat der Spurensicherung und saß in Torsten Öbergs Büro. Es lag auf der Sonnenseite und war heller als sein eigenes. Nur im Sommer, wenn er schon nach Hause gegangen war, fielen einige einsame Sonnenstrahlen von Nordwesten in sein Zimmer, und jetzt, im dunkelsten Dezember, nicht einmal das. Bei Öberg schien die Sonne bis halb vier.
»Wenn ich dich richtig verstanden habe, hat dich eine junge Polizistin aufgesucht und dir ihre Ansicht über die Ermittlungsarbeit des Ermittlungsdezernats mitgeteilt.«
»So würde ich es nicht ausdrücken.«
»Wie würdest du es dann ausdrücken?«
»Sie … tja, sie hat … Mensch, Torsten, ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll.«
»Aber sie hat dich offenbar beeindruckt, Junge. Ist sie hübsch?«
»Das will ich nicht gehört haben.«
»Ist das schon die Lüsternheit des Alters, Erik?«
»Hast du mich nicht eben noch Junge genannt?«
»Du weißt, was ich meine.«
»Hör schon auf, kann ich jetzt die Bilder sehen?«
Öberg hatte versprochen, die Fotos von den Wohnungen herauszusuchen, während Winter sich auf den Weg zur Spurensicherung machte. Jetzt reichte er ihm einen Stapel Bilder. Winter studierte sie, blätterte darin, schaute auf.
»Man kann nicht viel erkennen«, sagte er.
»Wie meinst du das?«
»Von dem, was Gerda Hoffner gesehen hat.«
»Heißt sie Hoffner? Ist sie eine Deutsche?«
»Ich habe sie nicht gefragt.«
»Gerda Hoffner. Das klingt deutsch.«
Winter reichte ein Bild über den Tisch.
»Was sagst du dazu?«, fragte er.
»Was meinst du?« Öberg betrachtete das Foto.
»Diese Bücherstapel sehen doch sonderbar ordentlich aus, als hätte jemand mit einer Wasserwaage oder so gearbeitet. Lineal. Maßband.«
Öberg studierte das Bild, den Bücherstapel, das Bett, das tote Gesicht daneben. Geschlossene Augen, schlafende Augen. Ordentlich. Ich spüre nichts Besonderes, wenn ich dieses Gesicht betrachte, dachte er. Es kann alles Mögliche sein. Es kann lebendig sein. Was ich im Augenblick erlebe, nennt man Abstumpfung. Ich kann nicht mehr zwischen Leben und Tod unterscheiden, obwohl ich weiß, dass ich den Unterschied sehe.
»Waren diese Leute Pedanten?« Er schaute Winter an. »Die Männer waren vielleicht welche. Die Frauen … das werden wir nie erfahren, oder? Aber die Männer. Hat sie jemand gefragt? Ist nicht Sverker Edlund Verhörleiter? Hast du ihn gefragt?«
»Noch nicht.«
»So einfach ist es vielleicht. Irgendjemand aus ihrem Umfeld müsste so was doch bestätigen können.«
»Ja. Wenn man fragt.«
»Dann müssen sie es wohl tun. Oder du.«
Winter antwortete nicht. Er fuhr fort, die Bilder zu studieren.
»Im Übrigen sieht es ja nicht besonders ordentlich aus«, stellte er fest, den Blick auf das Bett und die Umgebung geheftet. Es könnte sich fast um sein eigenes Schlafzimmer handeln. Geschliffener Holzfußboden, hohe Fußleisten, ein modernes, breites Bett, an der Decke eine Andeutung von Stuckatur. Ein großes Zimmer, ein altes Zimmer, ein teures Zimmer. Der momentane Quadratmeterpreis für eine Wohnung in Vasastan war ihm nicht bekannt, aber er wusste, dass er hoch war. Seine eigene Wohnung war ein Vermögen wert.
»Diese Zimmer sehen aus wie Kopien, Torsten.«
Öberg nickte.
»Sie stimmen sogar in den Farben überein.«
»Ja …«
»Hast du auch schon mal darüber nachgedacht?«
»Ein bisschen. Aber ich hatte was anderes zu tun.«
»Die gleichen Zimmer«, sagte Winter. »Der gleiche Modus Operandi.«
Wieder nickte Öberg.
Winter warf die Bilder auf den Schreibtisch.
»Es wäre für alle am einfachsten, wenn die Kerle gestehen würden«, sagte er.
»Das werden sie vielleicht nie tun«, sagte Öberg. »Vielleicht gehören sie zu den Typen, die nie etwas gestehen.«
»Wie sehen die Wohnungen jetzt aus?«, fragte Winter. »Sind sie immer noch versiegelt?«
»Ich glaube ja.«
»Haben also noch mehr Leute Zweifel?«
»Sprich mit Mogens«, antwortete Öberg. »Im Augenblick kann ich dir wohl nicht weiterhelfen.«
»Vielleicht musst du«, sagte Winter.
»Wie meinst du das?«
»Es
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