Der letzte Winter
könnte sein, dass wir die Wohnungen noch einmal durchfilzen müssen.«
»Glaubst du das wirklich?«
Winter antwortete nicht. Er nahm wieder ein Foto in die Hand, die Nahaufnahme einer jungen Frau, deren Gesicht an das Bild vom Gesicht der anderen Frau erinnerte, aus der gleichen Entfernung aufgenommen. Eins erinnerte an das andere.
»Hast du schon mal darüber nachgedacht, Torsten?« Er hielt das Foto so, dass Öberg es sehen konnte.
»Worüber?«
»Wenn nicht der Mann der Täter war, wer hat es dann getan?«
13
V or dem Fahrstuhl stieß Winter mit Halders zusammen. Halders legte eine Hand auf seinen Arm.
»Hast du einen Moment Zeit?«
»Für dich habe ich alle Zeit der Welt, Fredrik.«
»Das ist nicht wahr.«
»Nein.«
Halders lächelte. »Ich lade dich zu einer Tasse Kaffee ein«, sagte er.
»Wo?«
»In der Kaffeeküche.«
»Dort gibt’s den Kaffee doch gratis.«
»Bildlich gemeint.«
»Apropos Bilder«, sagte Winter.
»Seltsam«, sagte Halders und setzte sich mit der typischen weißen Behördentasse in der Hand.
Winter nickte.
»Hast du so was schon mal gesehen?«
»Ich weiß es nicht. Nein.«
»Kannten sich die beiden Paare?«
»Auch das weiß ich nicht.«
»Was sagt der Verhörleiter?«
»Ich habe noch nicht mit ihm gesprochen.«
»Wer ist es?«
»Sverker Edlund.«
»Er ist okay.«
»Aber die Männer haben bis jetzt nicht gestanden.«
»Das erstaunt doch niemanden?«
Winter zuckte mit den Schultern. Er blies über den Kaffee und nahm einen kleinen Schluck. Das ist das letzte Mal, dachte er. Der Kaffee schmeckt wie immer nach altem dreckigen Asphalt. Das kann ja nicht gesund sein. In zwanzig Jahren wird die Forschung beweisen, dass der Kaffee der Polizei den Rest gegeben hat.
»Wie sind die Frauen gestorben?«
»Es sieht nach Ersticken aus. Mit einem Kissen auf dem Gesicht.«
»Hm.«
»Ja, das ist mager.«
»Drogen?«
»Das Labor braucht wohl noch ein paar Wochen.«
»Was sagen die Jungs?«
»Welche Jungs?«
»Die Männer. Die eventuellen Mörder.«
»Dass sie geschlafen haben. Dass ihre Frauen tot waren, als sie aufwachten.«
»Alle beide?«
»Ja, offenbar, aber ich habe noch keine Vernehmungsprotokolle gelesen. Ich weiß es aus zweiter Hand von Öberg.«
»Willst du die lesen? Die Protokolle?«
Winter antwortete nicht. Er wusste es noch nicht genau.
»Warum interessierst du dich für die Sache?«
»Es könnte mein Job werden, Fredrik. Unser Job.«
»Dann hätte das Ermittlungsdezernat aber schon Kontakt zu uns aufnehmen müssen, oder?«
Winter zuckte wieder mit den Schultern. Eigentlich konnte er dieses Schulterzucken nicht leiden, und eigentlich tat er es auch nicht. Aber es war eine automatische Bewegung, wie ein Tic. Vielleicht war es eine Berufskrankheit, die nach einer gewissen Anzahl Morde auftrat.
Halders trank seine Tasse leer. Er sah nicht aus, als würde ihm der Kaffee schmecken. Das nächste Mal nehme ich ihn mit zu Ahlströms , dachte Winter. Vielleicht schon morgen.
»Du wolltest doch etwas von mir, Fredrik.«
Halders nickte und stellte die Tasse auf den Tisch. Es sind genau die gleichen Tassen wie im Krankenhaus, dachte Winter. Genau das Modell. Die werden bestimmt in derselben Fabrik hergestellt und dann an alle öffentlichen Einrichtungen des Landes geliefert, vielleicht auf der ganzen Welt. Solche Tassen hatten sie auch im Krankenhaus an der Costa del Sol. Ich hatte eine in der Hand, als Vater im Sterben lag. Hier ist es nicht nur der Kaffee, der für Krankheit sorgt, Depression. Es sind die Tassen.
»Ich höre auf«, sagte Halders.
»Du hörst auf? Womit hörst du auf?«
»Stell dich nicht dumm, Erik.«
»Ich stelle mich nie dumm. Entweder ist man dumm oder man ist es nicht. Dagegen kann man nichts machen.«
»Du meinst, Dummheit ist angeboren? Man wird bekloppt geboren?«
»Ja, es ist wie mit Talent, nur umgekehrt.«
»Dann habe ich kein Talent mehr für den Job.«
»Red keinen Mist.«
»Es ist wie mit dem Alkohol«, fuhr Halders fort, als hätte er nicht gehört, was Winter gesagt hatte. »Ich habe auch kein Talent mehr fürs Saufen. Keine Kraft.«
»Ich auch nicht.«
»Du hast ja kaum angefangen, Erik.«
Winter lächelte. »Mir geht es jetzt besser«, sagte er.
Halders lächelte zurück.
»Ich habe einmal einen Freund gefragt, warum er so viel trinkt. Weil er deprimiert sei, antwortete er. Warum bist du denn deprimiert?, fragte ich. Weil ich trinke, antwortete er.«
»Jetzt sind wir beim existentiellen Kern angelangt«,
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