Der letzte Winter
Spanien. Einige gemeinsame Bekannte. Und die Freunde hier in Göteborg. Es sind eine ganze Menge Leute.«
»So ist das immer«, sagte Winter, »wenn Menschen ein normales soziales Leben führen.«
»Was ist das, ein normales soziales Leben?«
»So wie du und ich es haben, Bertil.«
»Wir führen ein normales soziales Leben?«
»So normal es eben geht.«
»Was ist normal? Was ist sozial?«
»Und was ist Leben, Bertil?«
»Jedenfalls nicht das, was wir auf diesen Fotos sehen.«
»Anders Dahlquist«, sagte Winter. »Er scheint ein Leben im Verborgenen geführt zu haben.«
»Der ja. An den habe ich schon eine Weile nicht mehr gedacht.«
»Da kannst du mal sehen. Keine fesselnde Persönlichkeit, nicht mal als Ermordeter. Sozial war er anscheinend nicht sonderlich begabt. Aber wenn man sie zählt, sind es drei, Bertil. Bis jetzt drei Morde in diesem Winter. Ungelöste Fälle.«
Ringmar wandte sich von den Fotos ab.
»Was diese Paare angeht, kommen wir nicht mehr umhin, einige Fragen zu stellen. Wie und warum. In ihrem Umfeld muss es jemanden geben, der beschlossen hat, sie zu töten, und der seine Absicht auch in die Tat umgesetzt hat. Außerdem in einer ausgeklügelten Weise. Wir denken, es war Chloroform oder eine ähnliche Substanz, aber wir wissen es nicht. Vielleicht erfahren wir es nie. In der Wohnung von Barkner fehlt eine Schachtel Schlaftabletten, wenn wir ihm glauben können.«
»Sie scheinen jedenfalls geschlafen zu haben.«
»Wenn wir ihnen glauben können. Jetzt wirkt es, als würden wir ihnen glauben. Tun wir das, Erik?«
»Wir haben kaum noch einen Grund, ihnen nicht zu glauben.«
»Nein, wir können sie nicht länger in Untersuchungshaft festhalten. Das verstehe ich. Wollen wir sie zu Weihnachten nach Hause schicken? Morgen ist Heiligabend.«
»Ja. Sie werden nicht flüchten.«
»Und was ist mit Spanien?«
»Das ist keine Flucht. Spanien ist so gut wie zu Hause, Bertil. So gut wie Schweden.«
»Nueva Scandinavia. Nueva Gotemburgo.«
»Genau«, sagte Winter. »Manche nennen es Nueva Estoccolmo.«
»Wollen wir die Jungs freilassen?«
»Hab ich nicht ja gesagt? Ich habe schon mit Molina gesprochen.«
»Gehen wir damit kein Risiko ein?«
»Dass es sich wiederholt? Nein.«
»Die Eltern werden sich freuen«, sagte Ringmar.
»Nicht unbedingt«, sagte Winter. »Nicht alle. Louise Carlix hat Lentner mehr oder weniger des Mordes an ihrer Tochter bezichtigt.«
»Im ersten Schock hätte sie jeden beschuldigt«, sagte Ringmar. »Sie wird sich schon wieder beruhigen.«
»Lentners Vater hatte auch so seine Zweifel, wenn man Edlund glauben kann.«
»Womöglich aus demselben Grund.«
»Hm.«
»Du solltest ihn sofort treffen, Erik.«
»Vor Weihnachten, meinst du? Das bedeutet heute. Morgen ist Heiligabend.«
»Sein Sohn kommt heute nach Hause.«
»Vielleicht sollte ich ihn hinbringen.«
»Du durchschaust soziale Muster besser als jeder andere, Erik. Du siehst Dinge, die keiner von uns sieht. Dir ist vertraut, was wir anderen Polizisten nicht erkennen.«
»Bei wem sehe ich was?«
»In der Oberschicht natürlich. Das ist doch deine Schicht.«
»Das möchte ich nicht gehört haben, Bertil.«
»Ich habe ja auch gar nichts gesagt. Und weil wir gerade von Eltern reden: Es ist bemerkenswert, dass sie alle in intakten Familienverhältnissen leben.«
»Was zum Teufel meinst du nun schon wieder damit? Intakt?«
»Keine Scheidungen. Die biologischen Eltern der vier Abkömmlinge sind alle nicht geschieden. Keine Stiefelternteile, keine Stiefgeschwister. Das ist heutzutage einzigartig.«
»Es ist deine Generation, Bertil. Ihr lasst euch doch auch nicht scheiden, oder?«
»Nein, da hast du recht.«
»Aber das ist nicht der Grund«, sagte Winter. »Der Grund ist ein ganz anderer.«
»Und der wäre?«
»Die Schicht«, sagte Winter. »In der Oberschicht lässt man sich nicht scheiden. Das wusstest du noch gar nicht, oder?«
Erik Lentner schwieg auf dem Weg nach Långedrag. So wie er auch nichts gesagt hatte, als er aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Er wusste, dass es trotzdem ein Gerichtsverfahren gegen ihn geben konnte, aber er wollte nicht reden, während sie am Fluss entlang in Richtung Meer fuhren. Im Westen ging die Sonne unter. Alles färbte sich langsam rot, aber es war ein anderer Rotton als das Rot auf dem Bettzeug in Lentners Wohnung. Er saß blass und schweigend neben Winter. Sein Gesicht war farblos, als wäre alles Blut aus ihm gewichen.
Sie bogen vor dem
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