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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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wie Geister in einer anderen Welt. Es lag eine Art gesellschaftliche Ironie darin, dass die feinen Bürger von Askim in ihren horrend teuren Häusern mit Meerblick so nah bei den Pechvögeln der Gesellschaft wohnten. Aber die Unglücklichen dort unten hatten auch Meerblick, einen noch besseren Blick. Vielleicht führten sie ja ein gutes Leben, einmal abgesehen von den besinnungslosen Delirien, den Amphetaminräuschen, dem Kater danach, der Alltagsgewalt, Krankheiten, Kindesmisshandlungen, Überfällen und der Angst.
    »Ist es hier?« Halders drehte sich zu Barkner auf dem Rücksitz um. Der Mann antwortete nicht. Aber hier war es. Aneta Djanali sah das Paar mittleren Alters, das bereits vom Patio vor der Villa auf dem Weg zum Auto war. Sie drehte sich um. Ja, Meerblick. Und Aussicht auf die Wohnwagen, den Campingplatz. Alles mit einem einzigen Blick zu erfassen, das ganze Spektrum. Das war kein Sonnendunst über dem Platz, es war der Rauch aus Benzinfässern, in denen Feuer brannten.
    »Martin!«
    Sie hörte die Stimme der Mutter, Linnea Barkner. Der Vater stand ein paar Schritte hinter ihr. Stig. Er war groß wie die Fahnenmaste, die den Eingang zum Schwimmbad säumten. Die Frau war auch groß, sie hatte die Autotür bereits aufgerissen und war dabei, ihren Sohn in die Freiheit zu ziehen.
    »Mama«, sagte er, und sie umarmte ihn. Stig Barkner kam näher und drückte den Oberarm seines Sohnes. Näher kommt er ihm nicht, dachte Aneta Djanali. Und wir, Fredrik und ich, existieren gar nicht. Wir könnten Taxifahrer sein, und das sind wir wohl auch in etwa. Taxifahrer, die ein paar Fragen stellen wollten.
    Linnea Barkner ging mit ihrem Sohn auf das Haus zu. Es war nicht leicht zu erkennen, wer von ihnen wen stützte. Stig Barkner folgte ihnen. Aneta Djanali und Halders blieben neben dem Auto stehen. Jetzt hatte die kleine Familie die Tür erreicht. Die Villa mit Veranda im Souterrain war teilweise mit glänzendem Holz verkleidet, vielleicht Teak, auf das die Sonne hübsche Flecken tupfte. Es war ein Haus, in dem Menschen mit Sinn für Qualität wohnten. Ich könnte hier wohnen. Du könntest hier wohnen.
    »Man muss sie verstehen, sie trauern«, sagte Halders.
    »Und außerdem müssen sie einen Schock verkraften«, sagte Aneta Djanali.
    »Ich glaube immer noch, dass er es war«, sagte Halders.
    Sie blieb stumm.
    »Also, wollen wir reingehen?«, sagte Halders.
    »Es ist ganz einfach unbegreiflich«, sagte Ann Lentner. »Es ist … entsetzlich. Unbegreiflich.«
    Ihr Mann nickte. Winter beugte sich vor. Von seinem Platz auf dem Sofa sah er Wasser bis nach Asperö und noch weiter, bis nach Brännö. An Brännö wollte er nicht denken. Es musste noch viel Zeit vergehen, bis er wieder in die südlichen Schären fahren würde, wenn er nicht unbedingt musste.
    Erik Lentner hielt sich irgendwo im Haus auf. Winter wollte allein mit den Eltern sprechen. Mats Lentner wirkte gefasst. Vielleicht würde er dieses Mal nicht zusammenbrechen. Und sie hatten ihm keinen Kaffee oder etwas anderes angeboten.
    »Wie konnten Sie nur glauben, dass Erik es getan hat? Wie konnten Sie?«
    »Wir glauben eigentlich gar nichts«, antwortete Winter. »Wir überprüfen nur alle Möglichkeiten.«
    »Aber … unseren Sohn so viele Tage im Gefängnis festzuhalten. Das ist doch furchtbar.«
    »Untersuchungshaft«, sagte ihr Mann.
    »Das ist dasselbe«, sagte sie.
    Mats Lentner schwieg. Winter folgte seinem Blick aus dem Fenster. Eigentlich waren es Glaswände. Winter vermutete, dass Lentner in den vergangenen Wochen viele Stunden auf diese Art dagesessen hatte, den leeren Blick auf das Meer gerichtet.
    »Was wollen Sie eigentlich?« Ann Lentner sah Winter wütend an. Sie ist wütend, und ich kann es verstehen. »Was wollen Sie von uns?«
    »Ich möchte ein paar Fragen stellen«, sagte er. »Ich möchte es verstehen.«
    »Er macht doch nur seinen Job«, sagte Mats Lentner.
    »Auf wessen Seite bist du eigentlich?« Jetzt sah sie ihren Mann an.
    »Ich bin auf … niemandes Seite. Ich möchte nu…«
    »Auf niemandes Seite?«, unterbrach sie ihn. »Was meinst du damit?! Bist du nicht auf Eriks Seite? Was sagst du da? Bist du nicht auf der Seite deines Sohnes?«
    »Natürlich bin ich das. Du missverst…«
    »Was wollen Sie verstehen?«, unterbrach sie ihren Mann wieder und sah Winter an. »Wie soll man etwas so Ungeheuerliches verstehen? Es ist unbegreiflich!«
    »Sie haben recht«, sagte Winter. »Ich meine, ich möchte wissen, was passiert ist. Und wie es

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