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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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Gnistängstunnel ab und fuhren über die Torgny Segerstedtsgatan. Beim Käringberg wandte sich Lentner Winter zu.
    »Von hier aus kann ich zu Fuß gehen«, sagte er.
    »Ich fahre Sie nach Hause«, sagte Winter.
    »Das möchte ich nicht.«
    Winter fuhr weiter über den Långedragsvägen. Jetzt sah er das Meer, hinter den Häusern auf Hinsholmen. Auf dem Rugbyplatz zwischen der Straße und dem Wasser spielte eine Gruppe Fußball. Fußball im Dezember, das war ja wie in England. Oder in Spanien. Hinter dem Konfektionsgeschäft bog Winter nach rechts ab. Früher war dort ein Lebensmittelladen gewesen. Jetzt schloss auch das Konfektionsgeschäft. Gegenüber hatte es einen Kiosk gegeben. Er fuhr zum Anleger von Långedrag hinunter und parkte hinter dem alten Wirtshausgebäude. Er sah Lentner an.
    »Okay, ich bleibe hier. Sie können den Hügel allein hinaufgehen, wenn Sie wollen.«
    »Vielen Dank.«
    Aber Lentner rührte sich nicht. Schweigend saßen sie da. In einem teilweise abgedeckten Motorboot auf der anderen Seite des Hafenbeckens stöberte ein Mann herum. Das Boot war aus Holz. Der Mann und das Boot wirkten gleich alt, hundert Jahre zirka. Vieles hier sah hundert Jahre alt aus, ausgenommen ein paar neugebaute Villen, die den Berg hinaufkletterten oder auf ins Meer ragenden Klippen standen.
    »Edle Schuppen«, sagte Winter.
    »Ha, ha, ha.«
    »Die müssen erst kürzlich gebaut worden sein.«
    »In meiner Kindheit gab es hier keine Neubauten«, sagte Lentner.
    »Sie sind also hier aufgewachsen?«
    »Habe ich das nicht gesagt?«
    »Doch, doch. Ich bin in Hagen aufgewachsen, ich war fünf, als wir dorthin gezogen sind.«
    Lentner drehte sich zu ihm um. »Und von wo?«
    »Kortedala.«
    »Ich wäre lieber in Kortedala aufgewachsen«, sagte Lentner.
    »Warum das?«
    »Dann wäre das alles nicht passiert.«
    Aneta Djanali und Fredrik Halders brachten Martin Barkner nach Hause zu Mama und Papa. Schweigend betrachtete er die Felder entlang des Särövägen. Da draußen winkt die Freiheit, dachte Aneta Djanali, aber froh sieht er nicht aus. Ein Tag vor Heiligabend, und er kann sich nicht freuen.
    Halders bog zum Askimsbad ab. Sie fuhren an dem leeren Parkplatz vorbei, der in seiner Verlassenheit riesig wirkte, wie ein stillgelegtes Flugfeld. Hinter den heruntergekommenen Gebäuden brütete das Meer. Es waren dieselben Gebäude wie in ihrer Kindheit. An schönen Nachmittagen war sie manchmal mit ihren Eltern hierhergegangen. Wie lange bin ich hier nicht mehr gewesen … zwanzig Jahre? Warum bin ich nie wieder hergekommen? Nichts ist verändert worden. Aneta Djanali sah das alte Schwimmbecken, voller Risse, leer. Nichts sieht so leer und einsam aus wie ein vergessenes Schwimmbecken. Ein Land beginnt rückwärts zu gehen, wenn man aufhört, Dinge zu reparieren. Es ist wie in den Entwicklungsländern Afrikas. Dort gibt es keine Entwicklung mehr. Wenn etwas kaputtgeht, bleibt es kaputt. So ist es in Burkina Faso, meinem zweiten lieben Heimatland. Die Pools in den besseren Hotels in Ouagadougou halten nicht lange. Sie sah den Askimspool im Sonnenlicht blinken wie einen Krater, erbaut aus unechten Silberbarren. Verlassen. Er schien seine Sehnsucht nach Wasser herauszubrüllen, nach Kindern, Geschrei, Rufen, Lachen, Explosionen, wenn die Körper auf der Wasseroberfläche aufklatschten. Heute sah es besonders schlimm aus, da die Luft klar und kalt war und die Sonne den Beton unbarmherzig beleuchtete. Und das Meer! Die Wellen bewegten sich vorsichtig aufs Ufer zu, als wären sie erstaunt, dass sie noch nicht zu Eis erstarrt waren. Sie erinnerte sich an ein Foto, das ihr Vater an einem grauen Tag aufgenommen hatte. Sie war vielleicht zehn, elf Jahre alt gewesen. Alles war grau und weiß und schwarz auf diesem Foto. Sie hatte am Wasser gestanden, allein am Ufer, nur ein Schatten, eine Silhouette. Und das Wasser hinter ihr war wie Eis gewesen, eingefroren in einer einzigen Bewegung.
    Halders hatte das Auto in einen kleineren Weg gelenkt. Links lag Askims Campingplatz, der seit langem Heimat für die Außenseiter war, Süchtige, Verrückte in ihren geächteten Wohnwagen. Eine letzte Freistatt für leidende Menschen unserer Zeit. Die Kommune oder wer dafür zuständig war, hatte den Campingplatz geschlossen und ihn wieder geöffnet und wieder geschlossen und wieder geöffnet. Jetzt hing Sonnendunst über dem Platz. Aneta Djanali sah einige Gestalten, die sich langsam bewegten, wie etwas, das fast mit der Luft zusammenzuhängen schien, fast

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