Der letzte Winter
nicht.
»Herrgott, Herrgott!«, sagte Ann Lentner. »Was geht hier vor sich?«
»Haben Sie sie gekannt?«, fragte Winter. »Haben Sie Madeleine Holst gekannt?«
»Wir kannten … die Familie. Früher«, sagte Mats Lentner.
»Früher? Was meinen Sie mit früher?«
Lentner sah seine Frau an, dann wieder Winter.
»Wir haben den Kontakt abgebrochen.«
»Warum?«
Lentner schaute seine Frau an.
»Warum?«, wiederholte Winter.
»Es ist etwas passiert.«
19
M artin Barkner hielt sich irgendwo im Haus auf. Es war groß, mindestens drei Stockwerke, soweit Aneta Djanali es beurteilen konnte. Es war wie ein Schloss. Warum es aufgeben für ein anderes Haus in Spanien? Vielleicht steckte ein Zwang dahinter. Die Oberschicht musste eben mehrere Häuser gleichzeitig besitzen, in mehreren Ländern. In dem Punkt gehörte sie auch zur Oberschicht. Ihr Vater besaß das Haus in Ouagadougou, und sie wohnte in dem Haus in Lunden. Früher hatte sie eine Wohnung in Kommendantsängen gehabt. Das waren sogar drei Wohnungen.
»Sie waren in der Kindheit befreundet«, sagte Linnea Barkner. »Martin und Madeleine.«
»Wo haben sie sich kennengelernt?«, fragte Halders.
»Das war … wohl in Spanien.« Stig Barkner warf seiner Frau einen Blick zu. »War es nicht in Nueva?«
Sie nickte.
»Nueva? Was ist das?«, fragte Halders.
»Nueva Andalucia«, sagte Linnea Barkner. »Dort hatten wir ein Haus, genau wie Familie Holst.«
»Nueva Andalucia?«
»Ja. Costa del Sol.«
Halders nickte. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Er war noch nie dort gewesen, aber wenn man einen Chef wie Winter hatte, kam man nicht an der Costa del Sol vorbei. Und nun war die Costa del Sol nach Göteborg gekommen.
»Haben Sie nah beieinander gewohnt?«, fragte Aneta Djanali.
»Ja … ziemlich«, antwortete Linnea Barkner. »Es war nicht weit. Die Siedlung ist sehr angewachsen, seit wir dort ein Haus gekauft haben … und Annica und Peder … aber das Zentrum ist nicht so groß.«
»Jeder kennt jeden?«, sagte Halders.
»Das will ich nicht behaupten. Viele sind später zugezogen … manche verkaufen ihre Häuser wieder. Trotzdem, klar, man kennt viele. Das ergibt sich ganz von selbst. Wir gehören zu den Veteranen. Und Holsts gehörten … gehören auch dazu.«
»Sie haben ›gehörten‹ gesagt. Wohnen Holsts nicht mehr dort?«, fragte Halders.
»Doch … aber nach allem … Ich weiß nicht … ich weiß nicht, was da jetzt los ist.«
»Hatten Sie Feinde?«, fragte Halders.
Die beiden Barkners zuckten zusammen, als wären sie gleichzeitig von etwas Spitzem gestochen worden.
»Ist die Frage so abwegig?«, sagte Halders. »Waren alle Anwohner in der Umgebung beste Freunde?«
»Mit wem man nichts zu tun haben wollte, mit dem pflegte man keinen Umgang«, antwortete Stig Barkner. »So funktioniert doch die Chemie zwischen Personen.«
Linnea Barkners Blick glitt durch das große Fenster hinaus aufs Meer. Sie war blass gewesen, als sie kamen, jetzt hatte sie Farbe bekommen, genau wie ihr Mann. Sie wirkten erleichtert, nachdem sich die größte Anspannung etwas gelegt hatte. Die Tragödie, in der sie sich befanden, war zwar noch nicht beendet, aber ihr Sohn war wieder da. Ihre zukünftige Schwiegertochter war nicht mehr da, doch sie war nicht ihr eigenes Fleisch und Blut. Fleisch und Blut waren stärker als alles andere. Jetzt war es leichter, weiterzuleben. Sie würden wieder zu ihrem Haus ins Neue Andalusien fahren. Aneta Djanali würde niemals dorthin fahren, erst recht nicht nach allem, was geschehen war. Die Schweden von der Sonnenküste schienen eine einzige große unglückliche Familie zu sein. Sie folgte Linnea Barkners Blick aus dem Fenster und sah das Meer, davor den gottvergessenen Campingplatz. Er war der Stinkefinger für die Bürger von Askim, eine Provokation und eine fast tragikomische dazu. Das Gesocks hatte sich mitten in der High Society breitgemacht. Aneta Djanali sah eine Gruppe einen großen Tannenbaum in den Sandboden rammen. Einige trugen rote Zipfelmützen. Sie hatten schon angefangen, Weihnachten zu feiern, obwohl erst morgen Heiligabend war. Jetzt stand der Baum, schief zwar, aber die Weihnachtsmänner lebten ihre Freude in einem taumeligen Tanz um den Tannenbaum aus. Zwei Frauen waren auf dem Weg zum Meeresufer. Vielleicht wollten sie den Sonnenuntergang bewundern. Kinder konnte Aneta Djanali keine auf dem Platz entdecken. Weihnachten war das Freudenfest der Kinder, aber die Erwachsenen da unten gaben auch ihr Bestes. Sie
Weitere Kostenlose Bücher