Der letzte Wunsch
Vratimir entstammte nicht nur einer illegitimen Verbindung, sondern auch einer gemischten von Mensch und Nichtmensch. Als solcher konnte er, wenngleich er ein Wappen führte, nicht als vollwertiger Edelmann gelten, und zweifellos stand ihm nicht das Privileg zu, nach Sonnenuntergang das Tor zu passieren.
»Leider« – der Blick des Hexers war dem Elf nicht entgangen – »müssen auch wir hier aufs Morgengrauen warten. Das Recht kennt keine Ausnahmen, zumindest nicht für solche wie uns. Leistet uns bitte Gesellschaft, Herr Ritter.«
»Geralt von Riva«, stellte sich der Hexer vor. »Ich bin Hexer, kein Ritter.«
»Was ist mit ihm?« Chireadan wies auf Rittersporn, den die Wächter inzwischen auf die Bettstatt gelegt hatten. »Sieht aus wie eine Vergiftung. Wenn es eine Vergiftung ist, dann kann ich ihm helfen. Ich habe eine gute Arznei bei mir.«
Geralt setzte sich, worauf er einen kurzen Bericht vom Vorfall am Fluss gab. Die Elfen wechselten Blicke. Der grauhaarige Ritter runzelte die Stirn und spuckte durch die Zähne.
»Unheimlich«, sagte Chireadan. »Was kann das gewesen sein?«
»Ein Flaschengeist«, murmelte Vratimir. »Wie im Märchen . . .«
»Nicht ganz.« Geralt zeigte auf Rittersporn, der zusammengekrümmt auf der Pritsche lag. »Ich kenne kein Märchen, das so ausgeht.«
»Die Verletzungen dieses Ärmsten«, sagte Chireadan, »sind augenscheinlich magischer Natur. Ich fürchte, dass meine Medikamente da nicht viel nützen. Aber ich kann wenigstens seine Leiden lindern. Hast du ihm irgendeine Arznei gegeben, Geralt?«
»Ein Elixier gegen Schmerz.«
»Komm, du wirst mir helfen. Du kannst ihm den Kopf halten.«
Rittersporn trank gierig die mit Wein vermischte Medizin, verschluckte sich, begann zu husten, bespie das lederne Kissen.
»Ich kenne ihn«, sagte der andere Elf, Errdil. »Das ist Rittersporn, der Troubadour und Dichter. Ich habe ihn einmal gesehen, als er am Hof von König Ethain in Cidaris gesungen hat.«
»Ein Troubadour«, wiederholte Chireadan und sah Geralt an. »Schlecht. Sehr schlecht. Seine Halsmuskeln und die Kehle sind verletzt. An den Stimmbändern beginnen schon Veränderungen. Man muss schleunigst die Wirkung des Zaubers beenden, denn sonst ... Das kann unumkehrbar sein.«
»Das heißt ... Heißt das, er wird nicht mehr sprechen können?«
»Reden schon. Vielleicht. Aber nicht singen.«
Ohne ein Wort zu sagen, saß Geralt am Tisch, die Stirn auf die gefalteten Hände gestützt.
»Ein Zauberer«, sagte Vratimir. »Es braucht eine magische Arznei oder einen Heilspruch. Du musst ihn in irgendeine andere Stadt bringen, Hexer.«
»Wie das?« Geralt hob den Kopf. »Und hier in Rinde? Gibt es hier keinen Zauberer?«
»In ganz Redanien sieht es nicht gut aus mit Zauberern«, erklärte der Ritter. »Nicht wahr, ihr Herren Elfen? Seit König Heribert Zauberei mit einer halsabschneiderischen Steuer belegt hat, boykottieren die Zauberer die Hauptstadt und jene Städte, die die königlichen Anordnungen mit Eifer ausführen. Und wie ich gehört habe, sind die Ratsherren von Rinde berühmt für ihren Eifer in dieser Sache. Nicht wahr? Chireadan, Errdil, habe ich recht?«
»Hast du«, bestätigte Errdil. »Aber ... Chireadan, darf ich?«
»Du musst sogar«, sagte Chireadan. »Wozu ein Geheimnis draus machen, es wissen sowieso alle, ganz Rinde. In der Stadt, Geralt, hält sich im Augenblick eine gewisse Zauberin auf.«
»Sicherlich inkognito?«
»Nicht besonders.« Der Elf lächelte. »Die Person, von der ich spreche, ist eine große Persönlichkeit. Sie ignoriert sowohl den Boykott, mit dem der Rat der Zauberer Rinde belegt hat, als auch die Anordnungen der hiesigen Ratsherren, und sie fährt blendend dabei, denn der Boykott bewirkt, dass es hier eine gewaltige Nachfrage nach magischen Diensten gibt. Natürlich zahlt die Zauberin keine Steuern.«
»Die Zauberin wohnt in der Residenz eines gewissen Kaufmanns, der einer Faktorei von Nowigrad vorsteht und gleichzeitig Titulargesandter ist. Niemand kann sie dort anrühren. Sie genießt Asyl.«
»Es ist eher ein Hausarrest als Asyl«, berichtigte Errdil. »Sie ist dort praktisch gefangen. Aber über Mangel an Kunden kann sie sich nicht beklagen. An reichen Kunden. Auf die Ratsherren pfeift sie demonstrativ, veranstaltet Bälle und Gelage . . .«
»Die Ratsherren ihrerseits sind wütend, bringen jeden gegen sie auf, den sie nur können, ruinieren ihren Ruf nach Kräften«, fügte Chireadan hinzu. »Sie setzten widerwärtige
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