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Der letzte Wunsch

Der letzte Wunsch

Titel: Der letzte Wunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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sich der Kaufmann befand, war ihm nicht völlig fremd. Beim Geschirr fand er einen leeren Krug und eine Kelle aus Zinn, er schöpfte Saft aus dem Fässchen. Er hörte ein Schnarchen und wandte sich um. Der nackte Mann schlief, den Kopf auf die Brust gesenkt.
    Einen Augenblick lang hatte der Hexer Lust, ihn mit Saft zu übergießen und ihn zu wecken, doch er besann sich eines Besseren. Er ging aus der Küche, den Krug in der Hand. Der Korridor endete an einer schweren, mit Intarsien geschmückten Tür. Er trat vorsichtig ein, schob sie nur so weit auf, dass er hindurchschlüpfen konnte. Es war dunkel, also weitete er die Pupillen. Und blähte die Nüstern.
    In der Luft hing ein schwerer Geruch von gärendem Wein, Kerzen und überreifen Früchten. Und von noch etwas, das an eine Mischung von Fliederduft und Stachelbeeren erinnerte.
    Er sah sich um. Auf dem Tisch in der Zimmermitte erstreckte sich ein wahres Schlachtfeld von Krügen, Karaffen, Kelchen, silbernen Tellern und Schalen, Schüsseln und Bestecken mit Elfenbeingriffen. Das zerknitterte, halb weggerutschte Tischtuch war mit Wein übergossen, voller violetter Flecke, steif vom Wachs, das von den Leuchtern herabgelaufen war. Apfelsinenschalen prangten wie Blumen inmitten von Pflaumen- und Pfirsichkernen, Birnenstielen und holzigen Weintraubenresten. Ein Pokal war umgestürzt und zerbrochen. Der andere war heil, halb voll, und ein Truthahnknochen ragte heraus. Neben dem Pokal stand ein Damenhalbschuh mit hohem Absatz. Er war aus der Haut eines Basilisken gefertigt. Es gab kein teureres Material, aus dem Schuhe gemacht werden konnten.
    Der zweite Schuh lag unterm Sessel auf einem achtlos hingeworfenen Rock mit weißem Faltensaum und Blumenstickerei.
    Einen Augenblick lang blieb Geralt unschlüssig stehen und kämpfte mit dem Gefühl von Peinlichkeit, mit dem Verlangen, auf der Stelle kehrtzumachen und zu gehen. Doch das hätte bedeutet, dass er den Zerberus im Hausflur für nichts und wieder nichts niedergeschlagen hätte. Der Hexer tat nicht gern etwas Unnötiges. In der Zimmerecke bemerkte er eine Wendeltreppe.
    Auf den Stufen fand er vier welke weiße Rosen und eine Serviette mit Flecken von Wein und karminrotem Lippenrouge. Der Geruch nach Flieder und Stachelbeeren wurde stärker.
    Die Treppe führte ins Schlafzimmer, dessen Fußboden ein großes Fell bedeckte. Auf dem Fell lagen ein weißes Hemd mit Spitzenmanschetten und ein gutes Dutzend weiße Rosen. Und ein schwarzer Strumpf.
    Der zweite Strumpf hing an einem der vier geschnitzten Pfosten, die den schweren Baldachin überm Bett trugen. Die Schnitzereien an den Pfosten stellten Nymphen und Faune dar, in verschiedenen Stellungen. Manche Stellungen waren interessant. Andere nur lächerlich. Vieles wiederholte sich. Im Großen und Ganzen.
    Geralt räusperte sich laut, während er auf die Flut schwarzer Locken schaute, die unter der damastenen Bettdecke hervorschauten. Die Decke regte sich und seufzte. Geralt räusperte sich noch lauter.
    »Beau?«, fragte die schwarze Lockenflut undeutlich.
    »Hast du Saft geholt?«
    »Hab ich.«
    Unter den schwarzen Locken hervor erschien ein blasses dreieckiges Gesicht mit veilchenblauen Augen und schmalen, leicht verzogenen Lippen.
    »Och . . .« Die Lippen verzogen sich noch stärker. »Ich komme um vor Durst . . .«
    »Bitte.«
    Die Frau schälte sich aus dem Bett und setzte sich auf. Sie hatte hübsche Schultern und einen wohlgeformten Hals, um den Hals ein schwarzes Samtband mit einem sternförmigen, vor Brillanten funkelnden Schmuckstück. Außer dem Halsband hatte sie nichts an.
    »Danke.« Sie nahm ihm den Becher aus der Hand, trank ihn gierig aus, dann hob sie die Hände und griff sich an die Schläfen. Die Decke rutschte noch weiter herab. Geralt wandte den Blick ab. Höflich, doch widerwillig.
    »Wer bist du eigentlich?«, fragte die schwarzhaarige Frau, während sie sich die Augen rieb und die Decke hochzog. »Was tust du hier? Wo zum Teufel ist Berrant?«
    »Auf welche Frage soll ich zuerst antworten?«
    Augenblicklich bereute er die Ironie. Die Frau hob die Handfläche, und aus ihren Fingern schoss ein goldglänzender Strahl hervor. Geralt reagierte instinktiv, indem er mit beiden Händen das Zeichen des Heliotrops formte; er fing den Zauber unmittelbar vor seinem Gesicht ab, doch der Impuls war so stark, dass er nach hinten gegen die Wand gepresst wurde. Er ließ sich zu Boden sinken.
    »Nein!«, rief er, als er sah, dass die Frau die Hände abermals hob.

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