Der letzte Wunsch
ein Meter des blutigen Holzes ragte aus ihrem Rücken hervor. Ihre Augen standen weit offen, der Kopf war zurückgeworfen. Ihre Seufzer wurden häufiger, rhythmischer und gingen in ein Röcheln über.
Geralt stand auf, konnte sich aber, von dem Anblick gefesselt, noch immer zu keiner Handlung aufraffen. Er vernahm Worte, die dumpf in seinem Schädel dröhnten wie unter dem Gewölbe eines kalten und feuchten Verlieses.
Du gehörst mir. Oder niemandem. Ich liebe dich. Ich
liebe.
Der nächste schreckliche, abgerissene, in Blut erstickte Seufzer. Die Bruxa ruckte nach vorn, schob sich weiter die Stange entlang, streckte die Hände aus. Nivellen brüllte verzweifelt auf, versuchte, ohne die Stange loszulassen, die Vampirin möglichst weit von sich wegzudrücken. Vergebens. Sie schob sich noch weiter vor, packte ihn am Kopfe. Er heulte noch durchdringender auf, warf den zottigen Kopf hin und her. Die Bruxa schob sich auf dem Pfahl vor, neigte den Kopf zu Nivellens Kehle hin. Blendend weiß blitzten die Hauer auf.
Geralt sprang. Er sprang wie eine willenlos losgelassene Stahlfeder. Jede Bewegung, jeder Schritt, die jetzt zu tun waren, lagen ihm in der Natur, waren einstudiert, unausweichlich, automatisch und von tödlicher Sicherheit. Drei rasche Schritte. Der dritte, wie Hunderte solcher Schritte zuvor, endete auf dem linken Fuß mit festem, entschiedenem Auftreten. Eine Wendung des Körpers, ein schwerer, weit ausholender Hieb. Er sah ihre Augen. Nichts konnte sich mehr ändern. Er hörte die Stimme. Nichts. Er schrie, um das Wort zu übertönen, das sie wiederholte. Nichts konnte sich ändern. Ein Hieb.
Er schlug zielsicher zu, wie Hunderte Male zuvor, mit der Mitte der Waffe, und sofort vollführte er im Rhythmus der Bewegung den vierten Schritt und eine halbe Wendung. Die Klinge, zu Ende der Halbwendung schon wieder frei, folgte blitzend seiner Bewegung und zog einen Fächer roter Tropfen hinter sich her. Eine Woge rabenschwarzen Haars breitete sich aus, schwebte durch die Luft, schwebte, schwebte, schwebte ...
Der Kopf fiel in den Kies.
Es gibt immer weniger Ungeheuer?
Und ich? Was bin ich?
Wer schreit da? Die Vögel?
Die Frau in dem Wams und dem blauen Kleid?
Die Rose von Nazair?
Wie still es ist!
Wie leer. Welch eine Leere.
In mir.
Nivellen lag zusammengekrümmt, zitternd und von Krämpfen geschüttelt an der Schlossmauer in den Brennnesseln, die Arme um den Kopf geschlungen.
»Steh auf«, sagte der Hexer.
Der junge, gutaussehende, kräftig gebaute Mann mit dem blassen Teint, der bei der Mauer lag, hob den Kopf und sah sich um. Sein Blick war unstet. Er rieb sich die Augen. Er schaute auf seine Hände. Er tastete das Gesicht ab. Er schrie leise auf, steckte den Finger in den Mund, fuhr damit lange über die Zähne hin und her. Wieder fasste er sich heftig ans Gesicht, und noch einmal schrie er, als er die vier blutigen, angeschwollenen Striemen auf den Wangen berührte. Er begann zu schluchzen, dann zu lachen.
»Geralt! Wieso? Wieso ist . . .? Geralt!«
»Steh auf, Nivellen. Steh auf und geh. In den Satteltaschen habe ich Arzneien, die brauchen wir beide.«
»Ich bin nicht mehr ... Nicht mehr? Geralt? Wieso?«
Der Hexer half ihm aufzustehen und versuchte, nicht auf die schlanken, bis zur Durchsichtigkeit weißen Hände zu blicken, die um die Stange zwischen den kleinen, von feuchtem rotem Stoff bedeckten Brüsten gekrampft waren. Abermals schrie Nivellen auf.
»Vereena . . .«
»Schau nicht hin. Lass uns gehen.«
Sie gingen über den Hof, an dem Busch blauer Rosen vorbei, einer auf den anderen gestützt. Nivellen fuhr sich pausenlos mit der freien Hand übers Gesicht.
»Ich kann es nicht glauben, Geralt. Nach so vielen Jahren? Wie ist das möglich?«
»In jedem Märchen steckt ein Körnchen Wahrheit«, sagte der Hexer leise. »Liebe und Blut. Beide haben große Macht. Magier und Gelehrte zerbrechen sich seit Jahren die Köpfe darüber, aber sie haben nichts herausgefunden, außer . . .«
»Was, Geralt?«
»Es muss wahre Liebe sein.«
Die Stimme der Vernunft 3
Ich bin Falwick, der Graf von Moën. Und das ist Ritter Tailles von Dorndal.«
Geralt verneigte sich lässig, den Blick auf die Ritter gerichtet. Beide trugen Rüstungen und karminrote Mäntel mit dem Zeichen der Weißen Rose auf der linken Schulter. Er wunderte sich etwas, denn er wusste, dass es in der Umgebung keine Kommende des Ordens gab.
Nenneke, die scheinbar frei und ohne Vorbehalte lächelte, bemerkte seine
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