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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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Weinamphoren. Alle beide warfen mir verstohlene Blicke zu, sagten jedoch nichts. Die Bootsmänner legten vom Kai ab, hißten das Segel und setzten sich an ihre Ruder. Ich saß im Heck auf meiner Truhe und beobachtete, wie die Ufer vorüberglitten. Ich hatte nicht viel Gelegenheit gehabt, von dem größeren Schiff aus das Land zu betrachten – nur Strände und felsige Uferabschnitte, dahinter die Berge; viele Pinien und Eichenwälder; ein paar Weiler, die sich an den morastigen Flußmündungen zusammendrängten, umgeben von offen daliegenden Feldern; ein oder zwei Städte. Als wir den Fluß weiter hinaufsegelten, kam mir Thrazien noch rauher und trostloser vor, als ich es mir vorgestellt hatte. Odessus war nur eine kleine Stadt, und Marcianopolis entpuppte sich, nachdem wir es schließlich erreicht hatten, als nicht viel größer. Zwischen den beiden wand sich der Fluß durch einen schmalen Streifen bebauten Landes in Richtung auf das Hämusgebirge. Kühe grasten auf dem fruchtbaren Weideland; ein paar Bauern brachten die letzte Ernte ein oder droschen in rhythmischen Bewegungen das reiche Gold des Korns aus den Ähren. Während der ersten Meilen machte die Landschaft einen unerklärlich fremdartigen Eindruck auf mich, und endlich wurde mir bewußt, was ich vermißte: Olivenbäume. Sie gedeihen in Thrazien nicht; es ist dort zu kalt für sie. Die Einwohner haben die barbarische Sitte der Goten übernommen, aus der Milch eine breiige Masse zuzubereiten, die sie Butter nennen und die sie statt Olivenöl zum Kochen benutzen oder einfach aufs Brot schmieren. Auch der Wein wächst in Thrazien nur spärlich, außerdem ist der dortige Wein wäßrig und sauer.
    Ich spürte ein unbehagliches Frösteln und schaute weiter in die Ferne. Hinter dem bebauten Land erstreckten sich die dunklen, schattigen Umrisse der Berge und Meilen über Meilen öder Flächen und Wälder, fremdartig und wild. Es gab eine Menge brachliegendes Land: Thrazien ist eine spärlich besiedelte Region. Mit Ausnahme des Küstenstreifens war es in alten Zeiten äußerst unfruchtbar, und in den Kriegen vor der Thronbesteigung des erlauchten Kaisers Diokletian hatte es sehr gelitten. Thrazien ist außerdem ein recht großer Verwaltungsbezirk, der aus sechs Provinzen besteht. Es grenzt im Süden an die Ägäis, im Osten an das Schwarze Meer, und im Norden wird es von dem Fluß, den man Hister oder auch Donau nennt, begrenzt. An ihrem jenseitigen Ufer sind die Stämme der barbarischen Goten zu Hause. Im Westen grenzt Thrazien an die kaiserliche Diözese Dazien mit einer lateinisch sprechenden Bevölkerung, die unter der Herrschaft des westlichen Kaisers steht. Die vier südlichen Provinzen Thraziens haben eine griechisch sprechende Bevölkerung, die beiden nördlichen, Mösien und Skythien, sind allerdings zweisprachig, nämlich griechisch und lateinisch – wenn man einmal unberücksichtigt läßt, daß viele Soldaten gotisch sprechen und die Bauern thrazisch.
    Wir erreichten Marcianopolis am Abend. Obwohl nach asiatischen Maßstäben nicht viel mehr als ein Flecken, war es stark befestigt. Die steinernen Wälle ragten in die Höhe und hoben sich, als sich unser kleines Schiff ihnen näherte, düster gegen die untergehende Sonne ab. Hinter ihnen tauchte drohend das Hämusgebirge auf und sperrte das Licht aus. Sogar die Flußdurchfahrt war mit Hilfe von Toren befestigt, die allerdings offenstanden, als wir in die Stadt einfuhren. Als wir an einem steinernen Pier anlegten, dämmerte es bereits. Ich war von der langen Seereise erschöpft. Nachdem ich einen Träger für meine Truhe aufgetrieben hatte, mietete ich mir ein Zimmer in der nächstgelegenen Taverne.
    Am nächsten Morgen ging ich, um mich dem Heerführer Sebastianus vorzustellen. Angesichts des bevorstehenden Zusammentreffens verspürte ich ein wenig Nervosität. Deshalb zog ich mich sorgfältig an, wählte meine neueste Tunika und meinen besten Umhang. Ich besaß keinen Spiegel, aber im Zimmer befand sich eine irdene Wasserschale aus dunklem Steingut, und darin betrachtete ich mein Ebenbild. Es war einige Zeit her, daß ich mich zuletzt in einem Spiegel begutachtet hatte. Das Gesicht, das ich jetzt erblickte, war schmaler als das, an das ich mich erinnerte, und auch älter. Der unvoreingenommene, abschätzende Blick hatte sich noch verstärkt, er hatte einen vorsichtigen, ja mißtrauischen Ausdruck angenommen. Ich lächelte mir zu, verschrieb mir im Geiste viel Ruhe und regelmäßige Mahlzeiten, und das

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