Der Leuchtturm von Alexandria
durch Gesetze, inneren Frieden und Gelehrsamkeit beherrscht. Von Armenien bis Britannien, von Afrika bis zum Rhein: eine Regierung, zwei gemeinsame Sprachen und tausend Jahre Kultur. Sieh uns an: einen griechischen Eunuchen aus Amida oder Ephesus und den Sohn eines gotischen Fürsten und einer illyrischen Edelfrau, wir unterscheiden uns in bezug auf unsere Muttersprache, auf unsere Sitten und Gebräuche, auf unseren Glauben – und doch sind wir beide Römer. Das zählt mehr als alles, was uns trennt; das sichert den Frieden. Warum sollten die Terwingen nicht Rom bewundern und unter seiner Herrschaft glücklich werden?«
Ich vermochte ihm keine Antwort zu geben. Ich beobachtete sein Gesicht und lauschte seiner Stimme, und plötzlich schienen die Worte nicht viel zu bedeuten. In seinen Augen war ein wunderbares Leuchten, und er sprach in diesem raschen, abgehackten Griechisch und jagte seine Worte mit der gleichen stürmischen Großartigkeit, mit der er seine Pferde ritt. Ich fühlte einen Kloß im Hals.
»Was ist los?« fragte Athanaric, und seine Begeisterung schlug in überraschte Besorgnis um.
»Nichts«, entgegnete ich. »Ich hoffe, du hast recht. Wann sind wir an der Donau? Ich bin kein Hunne; ich bin es nicht gewohnt, auf Pferderücken zu leben.«
Er lachte, und ich konzentrierte mich auf das Reiten. Es stimmte natürlich keineswegs, daß nichts los war. Ich hätte meine Symptome, eins nach dem anderen benennen können, allerdings hätte ich mich dazu auf eine andere Autorität als die des Hippokrates berufen müssen:
Nicht könnt’ ich mehr reden, Gelähmt war die Zunge, Heiß überlief’s mir die Haut, Der Blick ward mir dunkel, Die Ohren sausten , Schweiß brach aus , Es ergriff mich Zittern, Grüner bin ich als Gras, Fast glaub’ ich zu sterben.
O heiliger Jesus Christus, dachte ich, warum mußte mir das gerade jetzt passieren? Warum mußte es mir überhaupt passieren? Ich hätte es nicht geschehen lassen dürfen. Es kann nichts daraus werden, und ich vertraue ja Athanaric noch nicht einmal richtig. Niemals würde ich ihm zuliebe die Medizin aufgeben, selbst, wenn es ihn auch erwischen sollte. Aber wie konnte es ihn erwischen, da er mich die ganze Zeit nur als Chariton gekannt hatte? O Jesus Christus, wann hatte all dies angefangen? Denn ich wußte, daß da irgend etwas seit einiger Zeit in mir auf der Lauer gelegen hatte, doch erst als mein ganzer Körper seine Kraft spürte, gab ich vor mir selber von einem Augenblick zum andern zu, daß ich verliebt war.
6
Ganz unschuldig hatte ich geglaubt, in Theogenes verliebt gewesen zu sein; hatte angenommen, daß die Mischung aus Zuneigung und Schmerz, die ich für ihn empfunden hatte, bereits das Schlimmste sei, was ich von der »Leidenschaft, dem Tyrannen der Götter und Menschen«, zu befürchten hatte. Ich erkannte meinen Irrtum. Von ihm hatte ich nicht geträumt, war nicht schweißgebadet aufgewacht, um die halbe Nacht lang heißglühend dazuliegen und an meinen Nägeln zu kauen oder bei dem Geräusch seiner Schritte abwechselnd von heißen und kalten Schauern überlaufen zu werden. Natürlich hätte ich Athanaric wie eine giftige Schlange meiden sollen. Aus einer derartigen Leidenschaft konnte nichts als Bloßstellung und Schande erwachen. Eine Ehe stand außer Frage – sein Vater wollte ihn mit einer reichen Erbin verheiraten, und kein ehrbarer Mensch würde eine Armeeärztin heiraten. Ich fühlte mich ganz benommen vor Sehnsucht und träumte sogar davon, heimlich zu ihm zu gehen und zu sagen: »Ich bin gar kein Eunuch; mein Name ist Charis, nicht Chariton; ich bin noch jung, und früher hielt man mich sogar für hübsch. Bitte schlaf mit mir und behalte es für dich!« Aber wozu sollte das führen? Athanaric war nicht der Mann, so etwas für sich zu behalten. Er würde Fragen stellen und immer weitere Fragen und alles herausfinden, und es wäre nur allzu wahrscheinlich, daß er mich zu Thorion zurückschickte. Und selbst wenn er es nicht tat: Würde die Leidenschaft nach ihrer Erfüllung etwa von selbst erlöschen? Oder würde sie nur wachsen und mich mit unsichtbaren Ketten an Athanaric fesseln? Oder noch schlimmer, mit sichtbaren. Ich konnte schließlich genauso leicht wie die nächstbeste Frau schwanger werden. Hippokrates ist ja der Meinung, daß gesunde und an harte Arbeit gewöhnte Frauen leichter empfangen als verwöhnte, vornehme Frauen. Ich kannte ein paar Arzneien, von denen man annahm, sie könnten die Empfängnis erschweren, doch ich
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