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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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sein, und ein Arzt von niedrigem Rang kann nur unfähig sein. Deine Patienten würden mehr Vertrauen haben, wenn du etwas Schmuck trügest. Hier, nimm diese.« Sie händigte mir ein paar feine römische Perlenohrringe aus – sie waren zweifellos aus irgendeiner thrazischen Villa geraubt worden. Ich betrachtete sie mürrisch.
    »Ich würde es vorziehen, dir nichts schuldig zu sein«, erklärte ich und machte den Versuch, sie ihr zurückzugeben.
    »Aber ich bin es doch, die dir etwas schuldet!« wandte Amalberga ein. »Du hast mir das Leben gerettet, und ich habe zum Dank deinen Namen bei deinem Volk zerstört. Ich schwöre, daß ich das zu keiner Zeit beabsichtigt habe. Ich hatte einen Verdacht, und ich erwähnte ihn gegenüber meinem Gemahl – doch das war vor Beginn des Krieges. Ich habe niemals erwartet, daß der König dich bloßstellt, und es tut mir aufrichtig leid. Laß mich dir zumindest dabei helfen, dir einen neuen Namen unter uns Goten zu machen. Deine Geschicklichkeit wird das meiste dazutun, aber es wird von großem Nutzen sein, wenn du wie eine Edelfrau aussiehst.« Sie schloß meine Hand um die Ohrringe, ihre lebhaften blauen Augen blickten mich aufrichtig bittend an.
    Ich zögerte einen Augenblick, dann legte ich die Ohrringe an. Meine Ohren waren gleich nach meiner Geburt durchstochen worden, und die sechs Jahre, die ich ohne Ohrringe gelebt hatte, hatten nicht genügt, die Löcher zu schließen.
    Amalberga nickte beifällig. »Jetzt siehst du schon eher wie eine Person von Rang aus«, sagte sie. »Darf ich dich nach deinem wirklichen Namen fragen?«
    »Charis«, antwortete ich und stand unglücklich da, nackt und lächerlich in meinem neuen, grünen Gewand.
    »Natürlich«, meinte Amalberga und lächelte erneut. »In Wirklichkeit hast du ihn gar nicht geändert. Du brauchst mir nichts weiter zu erzählen, wenn du nicht möchtest. Zu deiner Patientin geht es da entlang. Sie ist schwanger und hat jetzt schon seit einer Woche Schmerzen in der Leistengegend. Wir machen uns Sorgen um sie. Ich hoffe, du kannst ihr helfen.«
    Amalberga war eine geschickte Herrscherin. Bei unserem ersten Zusammentreffen hatte ich ihre Selbstbeherrschung bewundert; wenige Frauen, die Kindbettfieber haben, können ihren Hebammen Befehle erteilen. Jetzt sah ich, daß Selbstbeherrschung noch das wenigste war. Sie war äußerst geschickt darin, die Leute dorthin zu bekommen, wohin sie sie haben wollte, und sie stellte sich dabei sehr viel geschickter an als ihr Mann. Sie hatte eine natürliche Begabung, zu verstehen, was andere fühlten, und sie konnte mit großem Geschick auf diesen Gefühlen spielen. Es war keine Heuchelei und kein Theater dabei im Spiel: Das war ihre Stärke. Ihre Freundlichkeit war absolut aufrichtig, und sie war wirklich interessiert daran, die Leute zu versöhnen – miteinander, mit den Anordnungen ihres Mannes, mit ihrem Schicksal. Sie verstand vollkommen, wieviel mir die Heilkunst bedeutete, und sie benutzte diese Tatsache dazu, mir meine Unfreiheit zu erleichtern. Erst als ich an jenem Abend zu Bett ging, wurde mir klar, daß ich ganz einfach nachgegeben hatte. Ich hatte Patienten, die meine Aufmerksamkeit benötigten, und ich mußte Edico dabei helfen, ein Hospital zu leiten: Aus diesem Grunde würde ich es ertragen, eine gotische Ärztin zu werden.
    Bei diesem Gedanken richtete ich mich voller Entsetzen in meinem Bett auf. Ich teilte das Zimmer, ja sogar das Bett mit einer gotischen Edelfrau, deren Ehemann auf einem Beutezug war. Das Zimmer hatte einen mit Binsen ausgelegten Steinfußboden und Wände aus Flechtwerk, das mit Lehm beworfen war.
    Es war schon seit einiger Zeit nicht mehr saubergemacht worden, und das dauernde Herdfeuer im Hauptraum des Frauenquartiers hatte es ganz rauchig werden lassen. Meine Gefährtin murmelte etwas und drehte sich im Schlaf um. Ich mußte an Alexandria und mein Studium denken, an den Geruch des Nilschlamms, die Rufe der Straßenverkäufer, die ehrwürdigen medizinischen Texte. Ich dachte an das Haus meines Vaters in Ephesus. Mit dieser Stadt der Barbaren hatte ich nichts gemein. Wenn ich jetzt fortlief, könnte ich vielleicht wieder bei den Römern sein, bevor sie die Neuigkeiten erhalten hätten. Salices war nicht so furchtbar weit.
    Ich kletterte aus dem Bett, ergriff das grüne Gewand und zog es mir über. Der Steinfußboden war kalt. Ich suchte nach meinen Stiefeln, dann erinnerte ich mich daran, daß ich nur die Sandalen hatte und noch nicht einmal einen

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