Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
Vom Netzwerk:
Umhang. Wie konnte ich aus dem Frauenquartier gelangen, die verschiedenen Wagenburgringe des Lagers überwinden, aus dem Tor schlüpfen und zwei Tage durch das feindliche Land hindurch zu den Römern zurückreiten, ohne wenigstens einen Umhang dabeizuhaben? Konnte ich denn überhaupt reiten in einem langen Frauenhemd?
    Ich stand da und ballte hilflos meine Fäuste. Dann ging ich in den Hauptraum hinaus. Ich mußte irgend etwas tun; selbst wenn ich heute nacht nicht fliehen konnte, mochte mir vielleicht doch etwas einfallen, was ich tun könnte. Das Feuer brannte nur noch ganz schwach, und der Raum war leer. Meine Arzttasche stand neben der Tür, die zum Hauptteil des Hauses führte. Ich ging hin und hob sie auf. Der Ledergriff war vom vielen Gebrauch ganz schwarz, und dort, wo sie immer gegen meine Seite geschlagen war, wenn ich sie trug, war sie eingebeult. Sie war ziemlich schwer, voller Schächtelchen und Flaschen mit Arzneimitteln, dazu ein Haufen Messer, Verbände und mein Patientenbuch. Ihr Gewicht war meiner Schulter inzwischen so vertraut, daß ich mich ganz nackt fühlte, wenn ich das Haus ohne sie verließ. Aber ich dachte: Wenn die Nachricht über meine wahre Identität die Römer erreicht, und wenn ich zurückgehe, dann kann ich sie ebensogut für immer hinter mir lassen.
    Eine Tür öffnete sich, und Amalberga kam herein. Sie hatte ihre Tunika nachlässig übergeworfen, die langen Haare hingen ihr offen über die Schultern. Ihre Umrisse hoben sich gegen das schwache Licht des Feuers ab. Sie sah mich einen Augenblick lang unbewegt an, dann sagte sie: »Es wäre besser, wenn du bliebest. Was auch immer du morgen tun wirst, es wird dir besser gelingen, wenn du jetzt schläfst.«
    »Was auch immer ich morgen tun werde?« erwiderte ich bitter. »Ich habe doch gar keine Wahl. Ich dachte, man hätte beschlossen, daß ich Edico bei der Betreuung seiner Patienten helfen soll.«
    »Das ist richtig«, entgegnete Amalberga ruhig. »Ich hoffe, du kannst etwas für sie tun.«
    »Weißt du, was du mir angetan hast?« fragte ich sie. »Vielleicht bist du ja der Meinung, ich verdiente die Sklaverei, da ich mich so unschicklich verhalten habe. Aber ich habe dir niemals etwas getan.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich bewundere, was du getan hast. Wenige Frauen sind in der Lage, so klar zu entscheiden, was sie wollen, und noch weniger können es auch erreichen. Es ist wahrscheinlich grausam, dir etwas zu nehmen, wofür du hart gekämpft hast, und es tut mir leid. Viele Leute aus meinem Volk wurden im letzten Sommer versklavt, und seitdem sind auch viele aus deinem Volk versklavt worden. Sie würden dich selbst jetzt noch um deine Freiheit beneiden.«
    Ich biß mir auf die Lippen. »Das mag sein«, erwiderte ich nach einem Augenblick. »Aber das entschuldigt dich noch lange nicht.«
    »Unser Volk hat sehr gelitten. Auch wir hatten keine Wahl: Wir sind dazu gezwungen worden, uns zu erheben. Mein Gemahl hofft immer noch, mit dem Kaiser Frieden schließen zu können und sein Vasall zu werden. Worauf können wir sonst hoffen? Niemand kann das Imperium besiegen – es ist zu groß. Aber unsere erste Pflicht, seine und meine, gilt unserem Volk, wir müssen es ernähren und beschützen. Das verstehst du sicherlich, und du verstehst auch, warum wir dich bei uns haben wollen, sogar gegen deinen Willen und gegen unsere Ehre.« Sie trat auf mich zu und berührte meine Hand, wobei sie mich ernst ansah. »Aber es muß nicht unbedingt so überaus schrecklich sein. Du kannst deine Heilkunst bei uns offen praktizieren und wirst dafür geehrt. Das ist doch immerhin etwas, oder?«
    »Ich liebe mein eigenes Volk«, entgegnete ich. »Ich gehöre nicht hierher.« Sie ließ ihre Hand sinken und seufzte. »Ich verstehe nicht, warum die Menschen das Kaiserreich so lieben.«
    »Wir sind in ihm geboren, und es hat uns geformt.«
    Sie zuckte die Achseln. »Viele Goten, die unter unseren eigenen Königen geboren sind, geben ihr Volk auf, um bei den Römern zu leben. Mein Onkel Ermaneric hat das getan, und sein Sohn, mein Vetter Athanaric, liebt das Kaiserreich ebenso wie irgendein römisch geborener Bürger. Aber nur wenig Römer wollen bei uns leben, auch wenn man ihnen Reichtum und Ehre bietet. Mein Gemahl träumt immer noch von Rom, obwohl er sich im Krieg mit ihm befindet.«
    »Ich mag keine Träume. Aber… das Leben, das ich gewählt habe, gibt es bei deinem Volk nicht. Ich bin Arzt und Hippokratiker, kein Zauberer, keine weise Frau oder Hexe.

Weitere Kostenlose Bücher