Der Leuchtturm von Alexandria
mich.
Ich eilte zu ihm; er ergriff meinen Arm und zog mich zur Seite. »Hier!« sagte er und deutete auf einen Platz unter dem nächststehenden Wagen. Ich kroch darunter, und er folgte mir. Wir waren außer Sicht und so allein, wie man in dieser übervölkerten Stadt nur sein konnte. »Wird die Frau zurückkommen?« fragte Athanaric.
»Ich habe sie fortgeschickt, um ein Arzneimittel zu holen«, antwortete ich. »Sie wird wahrscheinlich annehmen, daß sie mich auf dem Weg hierher verpaßt hat und zum Hospital zurückgehen. Wir haben etwa eine halbe Stunde Zeit, bevor sie anfangen, nach mir zu suchen.«
Athanaric seufzte und rieb sich die Stirn. »Werden sie denn nach dir suchen?«
»Sie haben gerade den strikten Befehl erhalten, mich ununterbrochen zu bewachen, damit ich nicht fliehen kann.«
»Aber du brauchtest gar nicht bewacht zu werden«, meinte er bitter. »Du kannst sowieso nicht fliehen. Im Augenblick jedenfalls nicht. Sämtliche Soldaten, die sonst auf den Beutezügen sind, befinden sich derzeit hier, und die Hälfte davon kennen mich, und allesamt scheinen sie dich zu kennen. Ich könnte dich niemals hier herausbekommen. Aber ich mußte unbedingt mit dir sprechen.«
Im Halbdunkel unter dem Wagen blickten seine Augen aufmerksam und ernst. Er sprach in seinem schnellen, abgehackten Griechisch, und er sprach mit gedämpfter Stimme, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich fühlte einen Kloß in meiner Kehle und schluckte angestrengt. »Schön, daß du gekommen bist«, flüsterte ich. »Ich brauche… ich fühle mich sehr alleine hier. Amalberga meint, ich sollte jemanden heiraten, um nicht als Geisel benutzt werden zu können.«
»Tu das nicht«, sagte Athanaric. »Sie würden es nicht wagen, dir etwas anzutun. Dein Bruder wird noch in diesem Herbst aus Tomis fortgehen; ihm ist für sofort eine andere Statthalterschaft angeboten worden, und zwar in Bithynien. Als Geisel nutzt du ihnen sowieso nichts. Würdest du wirklich jeden Goten töten, der versucht, dich zu heiraten?«
»Wahrscheinlich nicht«, räumte ich ein. »Aber ich will, daß sie es glauben. Ich will nicht, daß es jemand versucht.«
»Falls sie dir glauben, müßtest du eigentlich sicher sein. Sie haben wahrscheinlich keine Angst vor Messern, aber vor Gift fürchten sie sich. Dieser Krieg kann nicht ewig dauern, und irgendwie werden wir dich schon hier herausbekommen.«
Ich hatte mir selbst und auch anderen eingeredet, daß mich nichts mehr erwarte, falls ich zu den Römern zurückkehren könnte. Ich hatte nicht geglaubt, daß mein Herz bei dem Gedanken an Flucht wie rasend hämmern würde. Aber vielleicht lag es auch nur an Athanaric.
»Wie wird es weitergehen?« fragte ich ihn. »Glaubst du, daß der Krieg bald zu Ende ist? Kannst du einen Waffenstillstand aushandeln?«
Er schüttelte den Kopf. »Seit meiner Ankunft hier wollten mir alle klarmachen, was für einen Waffenstillstand ich aushandeln müsse. Aber ich bin nicht in offizieller Mission hier. Ich bin nach Ägypten versetzt worden und bin nur gekommen, weil jemand den Versuch machen mußte, dich auszulösen.«
»Nach Ägypten? Aber…«
»Sie trauen mir nicht mehr bei Hofe«, erklärte Athanaric und lächelte ein wenig unglücklich. »Ich habe mich seinerzeit zu sehr für Frithigern eingesetzt. Und sie mißtrauen inzwischen allmählich allen Goten. Mein Vater befindet sich praktisch unter Hausarrest. Aber der oberste Palastbeamte schätzt mich nach wie vor, und so behalte ich meinen Posten und meinen Rang, werde jedoch woandershin versetzt. Sie glauben bei Hof, daß ich in Ägypten, wo ich auf die Nachfolger deines alten Freundes Athanasios aufpasse, keinen Schaden anrichten kann. War es das, was der Bischof über dich herausgefunden hat? Daß du eine Frau bist?«
Ich nickte. »Wirst du etwa Ärger bekommen wegen dieses Ausfluges?«
»Falls ich jetzt schnurstracks nach Ägypten zurückkehre, keinen allzu großen. Sebastianus und dein Bruder können für mich bürgen. Außerdem brauchten sie mich unbedingt; es gab sonst niemanden, den sie in das gotische Lager zu schicken wagten.«
»Werden die Goten dich gehen lassen?«
»Oh, mach dir keine Sorgen deswegen. Auch Colias ist mein Vetter, und seine Männer haben ihre Befehle von meinem Vater entgegengenommen. Sie werden sich nicht mit mir anlegen wollen. Aber ich kann dich hier nicht rausschaffen. Ich habe die ganze Nacht wachgelegen und über eine Möglichkeit nachgedacht, aber bei den vielen Soldaten, die inzwischen hier
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