Der Leuchtturm von Alexandria
seine Anschuldigungen gegen Vater vorbrachte, nur noch von weitem gesehen und hatte ganz einfach Angst vor ihm, um so mehr, als ich ihn nicht verstand. Ich war mir ziemlich sicher, daß er mit seinem Verhalten uns und anderen gegenüber einzig und allein den Kaiser beeindrucken wollte. Außerdem machte es ihm ganz einfach Spaß, seine Macht über Männer von Rang zu demonstrieren. Aber die Grausamkeit, mit der er Maia und Philoxenos und all die übrigen foltern und so viele andere töten ließ – diese Grausamkeit verstand ich nicht. Seine Beweggründe schienen unerklärlich, gegen die Vernunft, kaum mit menschlichem Maß zu messen. Ich konnte nicht wirklich glauben, daß er auch nur das geringste Interesse an mir hatte, nicht einmal in meiner Eigenschaft als ein vornehmes junges Mädchen aus Ephesus, das für eine Heirat in Frage kam. Aber eigentlich wußte er überhaupt nichts von mir: Er hatte ja nur die angemalte Puppe im Spiegel gesehen.
Ich hatte an jenem Tag einige Unterrichtsstunden, aber es war nur etwas von Euripides dran. Hippokrates hatten wir fürs erste beiseite gelegt. Ischyras mochte Euripides nicht besonders: Sein Stil war ihm nicht erhaben genug. Wir waren bei der Lektüre alle beide nicht so ganz bei der Sache, und schließlich gab er mir früher frei. Ich ging zu den Pferdeställen hinunter. Philoxenos erlaubte mir, mich um eine Stute zu kümmern, die einen entzündeten Huf hatte. Ich behandelte die Verletzung mit heißen Kompressen, wusch sie vorschriftsmäßig mit abgekochtem Wasser und einer reinigenden Lösung aus Essig und Zedernöl aus, und schon bald schien die Behandlung Wirkung zu zeigen. Dann mußte ich noch nach einem kranken Kaninchen sehen, doch ich konnte nicht feststellen, was ihm fehlte, außer daß es ihm schlechter zu gehen schien.
Am späten Nachmittag kam Maia und holte mich. Ich kniete gerade im Stroh und reinigte den Huf der Stute, meinen Umhang hatte ich über die Stalltür gehängt. Ich betupfte den Huf mit der Lösung und benutzte dazu einen Leinenstreifen, den ich um eines meiner kosmetischen Instrumente gewickelt hatte. Dann lehnte ich mich ein wenig auf meine Fersen zurück und prüfte die eitrige Masse auf dem Gewebe. Sie war hell und roch nicht allzu übel: ein gutes Zeichen. Ich drehte mich um und entdeckte Maia, die dastand und mich beobachtete. »Oh«, machte ich.
Maia warf ihre Arme nicht zum Himmel und brach auch nicht in spitze Entsetzensschreie aus, wie sie es für gewöhnlich tat.
»Schade, daß du heute abend nicht so erscheinen kannst«, meinte sie statt dessen. »Das würde Festinus von dir heilen: Du siehst aus wie ein Stallbursche! Aber ich kann die Tochter meines Gebieters leider nicht so zu einer Gesellschaft gehen lassen. Komm mit!«
»Laß mich nur schnell noch diesen Huf verbinden«, bat ich inständig, und Maia lächelte tatsächlich und nickte ihr Einverständnis. Ich verband den Huf, klopfte der Stute beruhigend auf den Rücken und ging ins Haus zurück. Ein Bad nehmen, Locken brennen, parfümieren, Gesicht schminken, anziehen – was für eine Zeitverschwendung ist doch das Leben einer jungen Dame! Zum Schluß konnte ich wieder einmal »die anmutigste Dame von Ephesus« im Spiegel bewundern, und sie schien mir törichter und mir selbst unähnlicher als je zuvor. Diesmal wenigstens schien auch Maia nicht allzu zufrieden mit mir zu sein.
Weil es eine kleine, ungezwungene Gesellschaft war, wurde das Essen nicht im großen Kuppelsaal, sondern im Wagenlenkerzimmer gegeben. An den Wänden wurden Lampenständer angebracht, in denen ein süß riechendes, mit duftender Myrrhe versetztes Öl brannte. Auf dem Fußboden und auf dem Tisch aus Zitronenbaumholz waren Rosen verstreut. Der Schein der Lampen tauchte die prächtigen Wandteppiche und das silberne Eßgeschirr in ein sanftes Licht. Es verlieh den Wandbildern eine zusätzliche Tiefe, und es hatte fast den Anschein, als bewege sich der Streitwagen auf dem Mosaikfußboden. Der gesamte Raum zeugte von Reichtum und Kultur, und als die Sklaven Festinus hereinführten, sah er sich anerkennend um. Vier Ruhebänke standen rund um den Tisch herum: eine für Vater, eine für Pythion und seine Frau, eine für Thorion und mich und eine für Festinus. Vater hatte als Gastgeber Anspruch auf den höchsten Platz, Festinus lagerte zu seiner Rechten und Pythion zu seiner Linken; Thorion und ich teilten uns die Ruhebank am unteren Ende.
Festinus hatte Vater ein Geschenk mitgebracht, ein reich verziertes
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