Der Leuchtturm von Alexandria
ihr gut zu.
»Aber ich wollte doch so gerne, daß du verheiratet bist!« wimmerte sie. »Verheiratet mit einem netten, jungen und vornehm geborenen Herrn, der dich freundlich behandelt. Ich dachte, ich könnte mit dir kommen und dir helfen, den Haushalt zu führen und deine Kinder großzuziehen. Wenn ich denke, daß du dich in einer so unnatürlichen Weise verstellen, dich als Eunuch verkleiden und in einer fremden Stadt leben mußt! Du könntest dort sterben, du könntest entdeckt und bestraft werden, du könntest vergewaltigt werden!« Sie versuchte, sich die Augen zu trocknen. »Alles nur Denkbare könnte dir zustoßen. Und ich brauche dich doch. Was geschieht denn jetzt mit mir?«
»Nicht doch«, antwortete ich. »Du brauchst nur dich selbst. Es ist nicht gut, von anderen abhängig zu sein; es kann ihnen etwas zustoßen. In Ephesus geht es auch nicht viel anders zu als in Alexandria. Und ich gehe ja nicht für immer fort! Wenn ich ein paar Jahre abwarte, ist Festinus vielleicht nicht mehr da, und ich kann zurückkommen.«
Thorion schüttelte den Kopf. »Maia hat recht. Das Leben, das du planst, ist unnatürlich. Dauernd so zu tun, als seist du ein Mann, unter einem fremden Namen in einer fremden Stadt zu leben und fast ohne Geld: das könntest du gar nicht durchhalten.«
»Thorion, Maia«, sagte ich, »bitte! Es ist genau das, was ich möchte. Das wißt ihr genau. Ich möchte lieber Ärztin sein als sonst irgend etwas. Ihr wißt, daß ich es mir schon seit Jahren wünsche.«
»Ich weiß nicht, warum du es dir wünschst«, protestierte Thorion. »In anderer Leute Körper herumzustochern, Scheiße und Erbrochenes und Urin zu untersuchen, Eiterbeulen aufzustechen, Leichen zu sezieren – es ist ein ekelhaftes Gewerbe, Arbeiten, die für gewöhnlich Sklaven überlassen werden. Es ist kein Beruf für jemanden von Stand, ganz abgesehen davon, daß du ein Mädchen bist.«
»Die Heilkunst ist die edelste aller Künste«, protestierte ich mit einem Hippokrates-Zitat. Dann versuchte ich energisch, den beiden etwas klarzumachen, was ich noch niemals jemandem klargemacht hatte, nicht einmal mir selbst. »Es gibt nichts, was mehr Leiden verursacht als Krankheit. Sie tötet sogar mehr Menschen und unter größeren Qualen, als Festinus umzubringen vermag. Denk an unsere Mutter, Thorion, oder an deinen Mann und an dein Kind, Maia! Oh, ich weiß, selbst der beste Arzt kann nur wenig tun, aber wenig ist immerhin etwas. In zehn oder fünfzehn oder zwanzig Jahren, wenn ich zurückblikken und sagen kann: ›Dieser Mensch und jener und jener wäre ohne mich gestorben. Dieser wäre für den Rest seines Lebens verkrüppelt; jenes Baby wäre bei der Geburt gestorben‹ – wenn ich das sagen kann, wie könnte ich dann unglücklich sein? Und was die Meinung anbetrifft, die Heilkunst sei eine niedrige Beschäftigung für Sklaven, so sehe ich das überhaupt nicht ein. Zu verstehen, wie unser eigener Körper und die Natur funktionieren, ist die reinste Form der Philosophie. Und Menschen zu heilen hat beinahe etwas Göttliches an sich!«
»Oh, Charition!« sagte Thorion und seufzte. »Ich verstehe dich nicht. Wie könnte ich zulassen, daß du so etwas tust?«
»Würdest du es denn vorziehen, wenn Festinus mich heiratet?« Thorion antwortete nicht. Er starrte einen Augenblick lang aus dem Fenster und warf einen Blick auf den Palast des Statthalters, dann schlug er mit der Faust ärgerlich gegen den Fensterrahmen. Er fuhr mit der Zunge über seine schmerzenden Knöchel und starrte wütend auf die hell schimmernden Häusergiebel.
Maia hatte mich genau beobachtet. Schließlich streckte sie ihren Arm aus und ergriff meine Hand. »Du hast recht«, sagte sie langsam. »Du weißt schon selbst, was gut für dich ist und wie du glücklich werden kannst. Du hast vollkommen recht, es zu versuchen.«
Ich umarmte sie und war tief gerührt. Thorion wandte den Blick vom Palast ab und starrte uns überrascht an. Nach einem kurzen Zögern zuckte er die Achseln, trat zu uns und umarmte uns alle beide. »Ich nehme an, es ist immer noch besser, als Festinus zu heiraten«, meinte er. »Und ich weiß keinen anderen Ausweg. Aber er soll mir dafür bezahlen! Ich werde dich vermissen, Charition.«
»Es muß ja nicht für immer sein«, sagte ich noch einmal. »In ein paar Jahren, wenn Vater oder Festinus sterben oder wenn Festinus in einer anderen Stadt eine andere heiratet, kann ich zurückkehren. Du kannst allen Leuten erzählen, daß du mich die ganze
Weitere Kostenlose Bücher