Der Leuchtturm von Alexandria
Wärme des Hauses und dem Glück der Familie kündete.
Sie hörten auf zu singen, und Philon sprach den Segen. Dann hörte ich, wie er Harpokration fragte, ob ich schon zurück sei.
»Ich hoffe, er hat keine Schwierigkeiten, die Zaunrübenwurzel zu finden«, sagte er.
»Er sollte nachts nicht so herumlaufen«, meinte Deborah. »Es ist viel zu unsicher, vor allem für einen Fremden und Eunuchen! Und einen Brief für seinen Wohltäter aufzugeben! Das ist mir ein schöner Wohltäter, der ihn herkommen läßt, ohne vorher etwas ausgemacht zu haben, und der ihm nicht einmal Geld mitgibt. Ich frage mich, was wirklich dahintersteckt.«
Ich wollte gerade klopfen, um meine Ankunft anzukündigen, doch diese Bemerkung ließ mich unvermittelt stehenbleiben. Wie verdächtig klang meine Geschichte in ihren Ohren? Hatten sie etwas vermutet? Ich blieb wie angewurzelt stehen, das Blut summte in meinen Ohren, meine Hand hielt ich immer noch erhoben, um an die Tür zu klopfen.
»Machst du dir seinetwegen Sorgen?« fragte Philon, und sein Tonfall klang amüsiert. »Was für eine Veränderung in ein paar kurzen Monaten! Damals hast du dir Sorgen gemacht, er könne Theophila verderben und verführen.«
Es war das erstemal, daß ich davon hörte. Deborah hatte ihre Empfindungen sehr gut verborgen. Sie war mir immer nur höflich und voller Respekt entgegengetreten.
»Zieh mich doch nicht auf«, sagte sie zu ihrem Mann. »Das war nur am Anfang. Er ist ein entzückender Junge, und das einzige, was Theophila von ihm lernen könnte, sind ein paar gute Manieren. Ich möchte wetten, daß er aus einem vornehmen Haus stammt, er ist so höflich – und er würde nicht mit offenem Mund kauen, Theophila, Liebling, reiß dich bitte zusammen! Trotzdem finde ich es merkwürdig, ihn herzuschicken. Und er war sogar dazu gezwungen, seinen ererbten Schmuck zu verkaufen, um davon leben zu können. Etwas muß in jenem Haus schiefgegangen sein. Das, oder sein Wohltäter hat ihn ungehörig behandelt.«
Ich trat noch etwas dichter an die Tür heran und lauschte. Ich wollte unbedingt wissen, was sie vermuteten, um eventuell irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Die Straße war dunkel und menschenleer, das Holz der Tür an meiner Backe fühlte sich rauh an. Goldfarbenes Licht sickerte durch eine Ritze.
»Ich glaube, da steckt mehr dahinter, als er zugibt«, meinte Philon nachdenklich. »Er ist ein äußerst intelligenter Bursche, der außerdem sehr gut erzogen ist: Er kann stundenlang Homer zitieren. Vielleicht wollte sein Wohltäter gar nicht, daß er nach Alexandria geht.«
»Glaubst du, daß er in Wirklichkeit ein Sklave ist?« fragte Deborah. »Daß er fortgelaufen ist?«
»Nei… ei… n. Adamantios dachte das anfangs, aber ich bin eigentlich nicht geneigt, etwas Derartiges anzunehmen. Chariton verhält sich nicht wie ein Sklave – ich kann mir nicht vorstellen, daß er überhaupt weiß, wie man einen Fußboden wischt. Aber ich glaube auch nicht, daß sein Wohltäter diese Briefe geschrieben hat. Ich habe mich ein wenig nach Theodoros von Ephesus erkundigt. Er ist ein reicher Mann im Rang eines Konsuls, und die Familie hat immer in kaiserlichen Diensten gestanden. Daher stammt wohl auch das Vermögen. Jetzt gibt es wieder einen Sohn bei Hof, einen weiteren Theodoros. Er denkt wahrscheinlich nicht einmal im Traum daran, Medizin könne ein ernst zu nehmender Beruf sein. Er wäre bestimmt nicht damit einverstanden, daß sein Schützling etwas Derartiges studiert, wenn ein aussichtsreicherer Beruf winken würde.«
»Warum sollte er gegen den Willen seines Wohltäters hergekommen sein?« Das war Theophila. »Er tut mir leid. Es ist wirklich schrecklich, was die Perser ihm angetan haben. Dabei sieht er so gut aus.«
Philon lachte. »Und was hat Charitons Aussehen damit zu tun?«
»Oh, nichts. Er tut mir nur leid, vor allem, wenn sein Wohltäter ihm nicht helfen will. Dabei hat er schon soviel Pech gehabt! Und ich weiß nicht, warum er hergekommen ist, wenn er bei Hof sein Auskommen haben und sehr reich werden könnte.«
»›Die erste Voraussetzung für das Studium der Heilkunst‹«, erwiderte Philon und zitierte unseren gemeinsamen Lehrmeister Hippokrates, »›ist eine angeborene Neigung dafür.‹ Und die empfindet unser Chariton ganz sicherlich. Selbst, wenn er fortgelaufen ist, hat er ganz recht daran getan: Eine Begabung wie diese sollte nicht vergeudet werden. Er wird sicher einmal ein bedeutender Arzt. Aber ich habe noch etwas
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