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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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sein mochte – irgendwelche religiösen Meinungsverschiedenheiten oder nur betrunkene Krakeeler? Was auch immer der Grund war, er bestimmte den Weg, den ich nehmen wollte: ein Stück zurück und dann die Via Canopica hinauf. Auf diese Weise konnte ich mich von dem Lärm fernhalten.
    Ich rannte die Straße hinauf und versuchte, mich nicht umzublicken. Die Erfahrung hatte meine Angst vor den kleinen Seitenstraßen nur noch verstärkt, vor allem des Nachts. Aber die Via Canopica war sicher. Auch dort mochte es zwar den einen oder anderen Taschendieb geben, aber es war unwahrscheinlich, überfallen zu werden, selbst bei Nacht – dafür lag die Straße viel zu offen da. Ich eilte zum Somaplatz, dann die Somastraße hinunter zum Hafen. Dort in Ufernähe herrschte noch größerer Lärm, aber ich konnte niemanden sehen, nur das Licht von Fackeln entlang des geschwungenen Saums des Wassers sowie das Licht der Öllampen in den Häusern über den hoch aufragenden Mauern der Zitadelle: tief golden hob es sich gegen den dunstverhüllten Nachthimmel ab.
    Das Hospital war ein großes Gebäude aus grauen Backsteinen und einem Ziegeldach. Es war um einen offenen Platz herumgebaut, in der Mitte befand sich ein Garten mit einem Brunnen, darum herum waren drei langgestreckte Flügel errichtet, in denen auf endlos scheinenden Fluren die Patienten lagen. An der vierten Seite des Platzes, der Seite mit dem Eingang, befand sich ein großer Gemeinschaftssaal, der von den Krankenpflegern benutzt wurde. Es war ein hoher, kahler Raum mit leeren Wänden aus weißgetünchtem Verputz. Er grenzte an den Garten und war stets unverschlossen. Dort aßen, beteten und schliefen die Mönche, wobei sie ihre Schlafmatten tagsüber an die Wände rollten. Als ich im Hospital eintraf, war dieses hell erleuchtet und voller Menschen: Es sah so aus, als hätten sich sämtliche Pfleger und ihre frommen Brüder dort versammelt. Sie standen im Kreis herum, sprachen und beteten in großer Erregung auf koptisch. Niemand hatte auf mein Klopfen reagiert, deshalb wartete ich nach meinem Eintreten an der Tür und versuchte, die Aufmerksamkeit von irgend jemandem auf mich zu lenken. Schon bald bemerkte mich ein Mönch, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, hielt mit dem Beten inne und starrte mich wütend an, so daß schließlich auch die anderen innehielten und beunruhigt um sich blickten.
    »Wer ist dieser Götzenanbeter?« fragte der fremde Mönch. Er trug eine Tunika aus grober Wolle, die ihm bis zu den Knöcheln reichte. Er war barfuß, hatte einen Bart und lange Haare, und er war sehr schmutzig.
    »Herr«, sagte ich so höflich wie möglich zu ihm, »ich bin Chariton, ein Assistent von Philon, dem Arzt. Ich komme wegen einer Patientin. Die Brüder hier kennen mich.«
    »Du bist ein Eunuch«, sagte der fremde Mönch. Er sprach mit dem Akzent der Leute vom oberen Nil, der wie ein Singsang klang. »Die arianische Ketzerei, die den Sohn Gottes leugnet, wird von Eunuchen unterstützt. Man kann von ihnen nicht erwarten, daß sie das Wort Sohn überhaupt verstehen, denn ihre Körper sind fruchtlos und ihre Seelen bar jeglicher Tugenden! Was willst du hier unter den Tugendhaften, Sohn der Verdammnis?«
    O mein Gott, dachte ich, war der Erzbischof etwa gestorben?
    »Herr«, erwiderte ich und erinnerte mich an Philons Rat, Geduld aufzubringen, »ich bin kein Arianer; ich halte die Wahrheit ebenso wie du in Ehren. Mein Eunuchendasein ist nicht freiwillig, und ich bin wegen einer Patientin gekommen, einer kranken Frau, die im Kindbettfieber liegt. Sie hat keine Familie hier, ihr Mann muß die Stadt morgen verlassen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und wir wollten sie gerne eurer Barmherzigkeit empfehlen.«
    »Er ist kein Arianer«, bestätigte einer der Mönche, den ich kannte und der sich selbst Markus nannte, nach dem Apostel.
    »Er ist ein Assistent des Philon, eines Juden, selbst jedoch ein guter nizäischer Christ.«
    »Ein Eunuch, der einem Juden zur Hand geht?« brüllte der Fremde. »Ein Dämon, der einem Teufel zur Hand geht! Was kann gutes aus einer solchen Partnerschaft entstehen? Er ist gekommen, um die Gläubigen auszuspionieren, und er hat dich, Markus, belogen, um dein Vertrauen zu gewinnen und dich an den Statthalter oder den ägyptischen Heerführer zu verraten!«
    Hierauf erhob sich ein allgemeiner Tumult. Die Mönche sprangen auf und starrten mich mit funkelnden Augen an, und plötzlich wurde mir klar, daß es ernst war, nicht einfach wirres Gerede.

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