Der Leuchtturm von Alexandria
bin noch am Leben, deshalb vermute ich, es war das Beste so. Kann ich einen Schluck Wasser haben?«
»Reines Wasser ist nicht gut, wenn man krank ist«, erwiderte ich und gab ihm einen Schluck Honigwasser. Ich überprüfte seinen Puls: immer noch sehr ruhig. Aber seine Temperatur schien wieder etwas zu steigen. »Du mußt aufhören, dich aufzuregen. Du wirst einen Rückfall erleiden.«
Wieder warf er den Kopf zurück. »Ich werde Petrus zu meinem offiziellen Nachfolger ernennen«, meinte er nach einem Augenblick. »Noch einen Erzbischof Petrus von Alexandria. Der letzte hat den Märtyrertod erlitten. Das war während der großen Verfolgung. Ich kann mich noch an ihn erinnern: Ich habe ihn predigen gehört, als ich ein kleiner Junge war. Er hat nie auf dem bischöflichen Thron von St. Markus gesessen, sondern immer auf dem Schemel davor. Als ich geweiht wurde, wollte ich das gleiche tun, aber das Volk brach in Hochrufe aus, und ich vergaß es. Weißt du, wie einem zumute ist, wenn sie dir zujubeln? Es berauscht den Willen.« Er sah mich an, seine Augen blickten nicht länger nur leuchtend, sondern auch fiebrig.
»Bitte sprich nicht«, sagte ich.
»Laß mich mit jemandem sprechen. Irgend jemandem muß ich den Thron von St. Markus übergeben, und das ist heutzutage eine noch ungemütlichere Sache, als den kaiserlichen Purpur zu tragen. Und es ist gefährlich.«
»Du hast gerade gesagt, du wolltest ihn Petrus geben.«
»Er ist beinahe so alt wie ich. Er ist ein tapferer Mann, ein erfahrener Mann. Aber ich muß noch einen zweiten finden. Doch es ist sehr schwer. Ich muß einen fähigen Mann auswählen, der die Geschäfte der Kirche führen kann und vor Gericht gerechte Urteile fällt. Der in der Lage ist, sich gegen die Behörden zu behaupten. Aber ich darf niemanden auswählen, der von Ehrgeiz getrieben wird. ›Die Königreiche der Welt und ihren ganzen Ruhm‹ – ein Mann, der sich das wünscht, kann die Kirche leicht vom rechten Weg abbringen. Wenn man gegen Kaiser und Statthalter antritt, ist es schwer, sich in Erinnerung zu rufen, daß das eigene Königreich nicht von dieser Welt ist.« Er blickte wieder zur Decke hinauf, schloß einen Augenblick lang die Augen, dann öffnete er sie wieder. Er schien durch die Decke hindurch irgendwo anders hinzublicken, irgendwohin, wo es dunkel und sehr friedlich war. »Ich hätte niemals Erzbischof werden dürfen«, flüsterte er sehr deutlich. »Ich habe die Macht viel zu sehr geliebt. Nun gut, es liegt in den Händen Gottes.« Er richtete sich erneut auf.
»Bleib liegen!« befahl ich ihm. »Ich möchte dir keine Beruhigungsmittel geben, doch wenn es sein muß, werde ich es tun!«
Er lächelte, doch er blieb wenigstens ruhig liegen. »Ich phantasiere nicht, Frau Doktor. Ein kranker alter Mann schwätzt nur ein wenig.« Er streckte eine dünne, von blauen Venen überzogene Hand nach dem Wasser aus. Ich hielt ihm den Becher an die Lippen, dann wischte ich ihm das Gesicht ab.
»Ich weiß, daß du das Oberhaupt einer großen Kirche bist und außerdem ein mächtiger Mann«, sagte ich in freundlicherem Tonfall. »Aber es wäre besser, wenn du noch ein wenig wartest, bevor du irgendwelche kirchlichen Angelegenheiten zu regeln versuchst. Wink ihnen heute nachmittag einfach nur zu; verschieb die Frage der Nachfolge auf morgen.«
»Ich kann niemals etwas auf morgen verschieben«, erwiderte er. »Bis morgen wird die ganze Stadt wissen, daß ich krank bin, und es wird Ärger geben, falls niemand etwas dagegen unternimmt. Geh und hole Petrus und Theophilos. Ich möchte mit ihnen beten.«
Ich versuchte, es ihm auszureden, aber er war hartnäckig, und schließlich mußte ich die beiden holen. Petrus war ein ähnlich graugewandeter alter Asket wie er selbst, aber Theophilos war der jüngere, elegante Mann, der mich in den Palast geholt hatte. Als ich den Raum verließ, um sie zu rufen, fand ich Petrus in der Nähe der Tür auf dem Fußboden sitzend und in der Heiligen Schrift lesend, während es sich Theophilos im nächsten Raum auf einem Stuhl bequem gemacht hatte und flüsternd eine Unterhaltung mit einigen anderen Dekanen darüber führte, was sie den Leuten sagen wollten. Er machte einen überraschten und beunruhigten Eindruck, als ich ihm sagte, der Erzbischof wolle ihn sehen. Nachdem ich sie beide in Athanasios’ Zimmer geführt hatte, bat ich sie eindringlich, seine Heiligkeit nicht aufzuregen , andernfalls könnte ich nicht für die Folgen garantieren. Athanasios lachte
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