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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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bewirkt nicht soviel. Und niemand kann ewig leben, selbst dann nicht, wenn er den besten Arzt hat.« Er lächelte wieder. »Du mußt die Tür nicht verriegeln, meine Liebe; das Volk wünscht mich zu sehen. Sag den Leuten, sie sollen jetzt hereinkommen.«
    Er starb nach Mitternacht, am zweiten Tag im Mai. Er war bis zum Ende geistig klar, und er war glücklich, zutiefst glücklich, wie er da auf seinen Tod harrte. Der größte Teil der Stadt harrte ebenfalls: Ganze Menschenhorden umringten den Palast und warteten auf Neuigkeiten. Ich fuhr mit meinen Bemühungen fort, Athanasios zu heilen, selbst dann noch, als es klar war, daß ich nichts mehr tun konnte, als festzustellen, wann er seinen letzten Atemzug getan hatte. Als alles vorüber war, kniete ich zusammen mit den anderen neben seinem Bett und weinte bitterlich, wie alle anderen. Er war ein stolzer Mann gewesen. Ich glaubte gerne, daß er in seiner Jugend anmaßend und gewalttätig gewesen war, aber sein Geist hatte sich wie ein Adler hoch über sein Zeitalter emporgeschwungen, und es gab niemanden, der ihm glich. Als wir seinen Tod verkündeten, hatte es den Anschein, als mache sich ganz Alexandria daran, zu trauern. Alle Läden wurden geschlossen, die Kirchen in schwarze Tücher gehüllt. Sogar der Pharos wurde mit schwarzen Wimpeln verhängt. Ein Licht war erloschen, und die Stadt wartete auf ihre Feinde.
    Ich schnitt mir zum Zeichen der Trauer die Haare ab und wollte einen schwarzen Umhang und eine schwarze Tunika kaufen, doch die Händler sagten mir, es seien keine mehr zu haben. Als ich in meiner alten blauen Tunika in den Palast zurückkehrte (ich mußte Petrus, den der Schmerz aufs Krankenlager geworfen hatte, eine Dosis Opium verabreichen), fragte mich Theophilos, warum ich keine Trauer trüge, und als ich es ihm erklärte, schenkte er mir einen von seinen Umhängen. Nur Athanaric schien von all dem unberührt. Noch bevor der Körper des Erzbischofs kalt war, hatte er sein Beglaubigungsschreiben und einige Briefe des Präfekten eingesammelt, hatte ein Postpferd bestiegen und sich auf den Weg nach Antiochia und an den Hof gemacht.

15
    Der arianische Bischof Lucius traf Mitte Juni in der Stadt ein, beträchtlich früher als erwartet. Er hatte sich sofort aus Antiochia auf den Weg gemacht und brachte den kaiserlichen Schatzmeister Magnus mit sowie einige Briefe, die ihm die Befehlsgewalt über die Stadtwache verliehen – und er versicherte sich, genau wie Athanasios vorausgesagt hatte, der Truppen, bevor er sich endgültig in die Stadt wagte. Der ägyptische Heerführer befand sich zusammen mit Truppen aus den meisten der fünf ägyptischen Provinzen in Alexandria. Sobald Lucius von Bord seines Schiffes gegangen war, wurde der Hafen geschlossen, und jedes auslaufende Schiff benötigte einen Passierschein des Präfekten. Auch die Stadttore wurden geschlossen und streng bewacht; die Truppen marschierten von der Zitadelle in die Stadt hinunter und sicherten die Seeseite. Und dann streiften die Arianer durch die Stadt und hielten Ausschau nach Anhängern von Athanasios.
    Sie ergriffen Erzbischof Petrus. Zwei Tage nach Athanasios’ Beerdigung hatte er – gewählt gemäß den Gesetzen der Kirche durch die Geistlichkeit und das Volk von Alexandria – den bischöflichen Thron von St. Markus bestiegen, doch seitdem war er fast ständig krank gewesen. Wahrscheinlich hatten ihm die lange Fastenzeit und das monatelange Warten voller Kummer und Angst mehr zugesetzt als irgendeine ernsthafte Erkrankung. Jedenfalls reagierte er auf das plötzliche Auftauchen der Arianer ziellos und unsicher; die Soldaten ergriffen ihn im bischöflichen Palast und schleppten ihn mit sich ins Gefängnis. Lucius bemächtigte sich des Thrones von St. Markus und geißelte die Kirche, über die er nun gebot.
    Natürlich gab es Unruhen. So lange hatte ich davon gehört und nie welche erlebt; doch nun gab es jeden Tag Unruhen, die überall in der Stadt aufflackerten und von den Truppen immer auf der Stelle blutig niedergeschlagen wurden. An einem ruhigen heißen Tag zum Beispiel, wenn die Straßen mittags leer und kochend in der ägyptischen Sonne dalagen, kam von irgendwoher weit weg lautes Rufen. Der Lärm wuchs zu einem unbestimmten wimmernden Geheul an, einem unmenschlich klingenden Ton, der anschwoll und abebbte, näherkam oder in der Ferne verhallte. Menschen tauchten auf und rannten – dem Lärm entgegen oder fort von ihm, doch sie rannten wie wahnsinnig über die in der grellen Sonne

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