Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
Vom Netzwerk:
mich an seine Erzählungen darüber, wie der Beifall der Masse den Willen berauscht. Der Beifall, der jetzt über ihm zusammenschlug, schien ihn zu berauschen. Er sprach über eine Stunde, wobei ihm die Menge jedesmal, wenn er eine Pause machte, zujubelte. Dann zelebrierte er das heilige Abendmahl, und danach wurde wiederum bis zum Morgengrauen in den Straßen gegessen und getrunken und getanzt. Am frühen Morgen predigte er erneut und zelebrierte noch einmal das heilige Abendmahl, und schließlich entließ er das Volk in der klaren Luft des Frühlingsmorgens mit einer segnenden Gebärde.
    Ich ging nicht nach Hause. Ich ging direkt zum bischöflichen Palast, und als ich dort ankam, stieß ich beinahe mit einem Sklaven zusammen, der kurz nach der Ankunft des Erzbischofs nach mir geschickt worden war. Athanasios war auf dem Wege von der Kirche nach Hause in Ohnmacht gefallen. Als ich in sein Zimmer kam, lag er zusammengekrümmt auf seinem Bett und spuckte Blut.
    Ich tat alles, was in meinen Kräften stand: Dampf, Schröpfköpfe, heiße Kompressen und die verschiedensten Arzneimittel , sogar schwarze Nieswurz, die ich sonst eher vermied. Doch der »unsterbliche« Athanasios schien unberührt, ließ mit einem Lächeln meine Behandlung über sich ergehen, sprach auf nichts an, den Blick nach wie vor starr auf etwas gerichtet, was hinter dem Feuer lag. Er war geistig vollkommen klar und bestand darauf, die Behandlung zu unterbrechen, um mit seiner Priesterschaft sprechen zu können.
    Am zweiten Tag schickte er mich aus dem Zimmer und hatte eine lange Unterredung mit Petrus und Theophilos. Petrus kam weinend heraus. Theophilos sah bleich und verwirrt aus und ging irgendwohin, wo er allein sein konnte. Ich eilte zurück ins Zimmer, um nach dem Erzbischof zu sehen. Zum erstenmal seit seinem Zusammenbruch war ich der einzige dort, er hatte mir diesmal nicht erlaubt, die anderen auszusperren. Da ich jetzt die Gelegenheit dazu hatte, verriegelte ich die Tür. Selbst wenn er sich ein wenig ausruhen konnte, bestand keine große Hoffnung mehr auf eine richtige Erholung, aber möglich war es noch immer.
    Er hatte still dagelegen und an die Decke gestarrt, aber als er den Riegel klicken hörte, sah er mich an. »Charis«, flüsterte er und schmunzelte.
    Ich trat zu ihm und setzte mich neben ihn.
    »Bist du immer noch böse auf mich?« fragte er lächelnd.
    »Du hättest noch jahrelang leben können«, erwiderte ich.
    »… wenn ich auf meinen Arzt gehört hätte«, beendete er den Satz. »Nun, ich habe bereits jahrelang gelebt. Länger, als ich hätte erwarten dürfen. Und wie mein Lehrmeister, der Eremit Antonius, bereits sagte: Wenn ich diese Welt für den Himmel eintausche, ist es so, als tauschte ich eine Kupferdrachme für hundert Solidi. «
    Er sah mich einen Augenblick lang an. Obwohl seine Augen tief eingesunken waren, leuchteten sie ebenso unergründlich und durchdringend wie immer. »Der Glaube bedeutet dir immer noch nicht viel, nicht wahr?« fragte er. »Jedenfalls nicht im Vergleich zu Hippokrates.«
    »O Gott«, entgegnete ich. »Du willst doch deine letzten Stunden nicht damit verbringen, mich zu bekehren.« Ich versuchte, ihm einen Schluck Honigwasser einzuflößen, doch er weigerte sich.
    »Ich kann mir Schlimmeres vorstellen, als die Zeit so zu verbringen«, sagte er. »Doch nicht jeder ist zu einem asketischen und Gott dienenden Leben berufen. Dein Weg ist gut, auch wenn er nicht der beste ist.« Er sah mich erneut an, diesmal lag Bedauern in seinem Blick. »Du wirst heiraten.«
    »Was? Ich habe nicht die Absicht zu heiraten. Ich bin mit Hippokrates verheiratet.«
    »Du wirst trotzdem einen Ehegatten bekommen«, widersprach er langsam. »Und er wird ebensogut sein wie dein Hippokrates. Du liebst die Menschen zu sehr, Charition. Ach, ich wollte niemals Erzbischof werden, ich wollte Mönch werden. Aber Macht und Beifall bedeuteten mir zuviel, und schon saß ich in der Falle. Die Welt fesselt uns an sich durch das, was wir lieben. Doch das ist jetzt vorbei. Jetzt wird nicht mehr gekämpft!« Er machte eine Pause, dann lächelte er, der Ausdruck trunkenen Glücks kehrte in sein Gesicht zurück.
    Ich verspürte Hilflosigkeit, Wut, tiefen Schmerz. »Du hättest weiterleben sollen!« erwiderte ich. »Denk daran, was uns zustoßen wird, wenn du nicht mehr bist! Dein Tod wird alle Lichter in Alexandria erlöschen lassen!« Er schüttelte den Kopf auch wenn es eine sehr matte Gebärde war. »Nicht alle Lichter. Ein einzelner

Weitere Kostenlose Bücher