Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
hatte Martin wohl ein wenig vernachlässigt.
»Nimm den Bericht mit«, rief er ihm nach. »Es ist besser, wenn du ihn auch liest. Falls ich etwas übersehen habe.«
»Okay.« Martin griff eifrig nach den Blättern.
Als er den Raum verlassen hatte, lächelte Patrik in sich hinein. Zumindest einen Menschen hatte er heute glücklich gemacht.
Die Stunden verstrichen ungeheuer langsam. Signe und er gingen schweigend durchs Haus. Sie hatten sich nichts zu sagen und wagten kaum, den Mund aufzumachen, weil sie fürchteten, sonst den Schrei auszustoßen, der sich in ihrem Innern verbarg.
Er hatte versucht, sie zum Essen zu bewegen. Schließlich hatte Signe gejammert und gefleht, weil er und Mats nicht genug aßen. Nun schnitt er belegte Brote in winzige Stücke und hoffte, sie würde zumindest davon kosten. Sie gab ihr Bestes, aber sie musste würgen und bekam keinen Bissen runter. Am Ende konnte er sein eigenes Spiegelbild in ihren Augen nicht mehr ertragen und stand vom Küchentisch auf.
»Ich sehe mal nach dem Boot, aber ich bleibe nicht lange weg«, sagte er. Sie verriet mit keiner Regung, dass sie ihn gehört hatte.
Schwerfällig zog er sich die Jacke an. Es war bereits später Nachmittag, und die Sonne stand tief am Himmel. Er fragte sich, ob er sich jemals wieder über einen Sonnenuntergang freuen würde. Überhaupt wieder etwas empfinden würde.
Der Weg durch Fjällbacka war ihm vertraut und doch so fremd. Nichts war sich mehr gleich. Nicht einmal das Gehen fühlte sich an wie sonst. Eine Bewegung, die früher selbstverständlich gewesen war, erschien ihm nun gekünstelt und hölzern. Er hatte das Gefühl, dass er seinem Gehirn erst sagen musste, es solle einen Fuß vor den anderen setzen. Von Mörhult war es ein ganzes Stück, und die Leute, die ihm entgegenkamen, starrten ihn an. Einige wechselten sogar die Straßenseite, wenn sie glaubten, er würde es nicht bemerken, weil sie nicht stehen bleiben und mit ihm reden wollten. Sie wussten nicht, was sie sagen sollten. Da Gunnar keine Ahnung hatte, was er auf ihre Fragen hätte erwidern sollen, war es vielleicht gar nicht so schlecht, dass sie ihn wie einen Aussätzigen behandelten.
Der Bootsanleger, der ihnen schon seit vielen Jahren gehörte, lag unten bei Badholmen. Wie ferngesteuert wandte er sich nach rechts und überquerte die kleine Steinbrücke. Er war so in sich versunken, dass es ihm erst im letzten Moment auffiel. Das Boot war weg. Verwirrt sah Gunnar sich um. Es hätte hier liegen sollen, es war doch immer da. Ein kleiner Holzkahn mit blauer Persenning. Er ging bis ans Ende des Schwimmstegs. Vielleicht war das Boot aus einem unerfindlichen Grund an einer anderen Stelle gelandet. Oder es hatte sich losgerissen und war zwischen die anderen Boote getrieben. Es war jedoch vollkommen windstill gewesen, und Matte vertäute das Boot immer sorgfältig. Gunnar ging wieder zu dem leeren Anlegeplatz. Dann zog er das Handy aus der Tasche.
Patrik war gerade zur Tür hereingekommen, als Annika anrief. Er klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter, damit er Maja auf den Arm nehmen konnte, die jauchzend auf ihn zurannte.
»Entschuldige, was hast du gesagt? Das Boot ist weg?« Er runzelte die Stirn. »Ja, ich bin zu Hause, aber ich kann trotzdem hinfahren und mir die Sache ansehen. Kein Problem, das übernehme ich.«
Er stellte Maja auf den Boden, um das Telefon auszuschalten, und ging anschließend mit ihr an der Hand in die Küche, wo Erica gerade zwei Fläschchen zubereitete. Die beiden Jungs, die in ihren Tragetaschen auf dem Küchentisch lagen, spornten sie lauthals an. Patrik beugte sich über sie, gab jedem ein Küsschen und küsste danach seine Frau.
»Wer hat denn angerufen?« Erica stellte die Flaschen in die Mikrowelle.
»Annika. Ich muss noch mal los. Ganz kurz. Anscheinend ist das Boot von Signe und Gunnar gestohlen worden.«
»Auch das noch.« Erica sah Patrik an. »Wie kann man nur so gemein sein, ihnen unter diesen Umständen das anzutun.«
»Keine Ahnung. Gunnar sagt, das Boot sei wahrscheinlich zuletzt von Mats benutzt worden, der damit Annie besuchen wollte. Es ist etwas seltsam, dass ausgerechnet dieses Boot verschwindet.«
»Fahr los!« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Lippen.
»Ich bin gleich wieder da.« Er ging zur Haustür. Zu spät wurde ihm bewusst, dass Maja einen mittleren Wutanfall bekam, wenn er kurz nach seiner Heimkehr wieder verschwand. Schuldbewusst sagte er sich, dass Erica schon eine Lösung fände. Außerdem war
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